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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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nie vergönnt sein würde, jemals nach Mekka, dem für jeden Ungläubigen verbotenen Heiligtum, zu gelangen. Und nun bot sich mir genau hier, im schattigen Innenhof der ältesten Moschee von Kairo, die Möglichkeit, nicht nur den Haram von Mekka zu betreten, sondern etwas selbst für einen Moslem nahezu Unmögliches zu erreichen: in das Innere jenes heiligen Würfels vorzudringen. Denn der Großscherif von Mekka würde, nachdem die
Kiswa
gewechselt worden war, in der Kaaba eine Reinigungszeremonie vollziehen, wobei ihn zwei von ihm selbst ausgewählte Gläubige |551| begleiteten. Allen anderen blieb nur die Ehre, vielleicht beim Besticken des Tuchs mithelfen zu dürfen.
    Nun verstand ich endlich, was Sidi Bey mit
ein paar Stiche tun
gemeint hatte, während wir vor dem Tor warteten. Und da ich ahnte, daß in seiner Gesellschaft womöglich alles einfacher würde, fragte ich den Imam:
    ›Dürften vielleicht ich und ein Freund von mir ebenfalls ein paar Stiche tun?‹
    ›Es ist dies ein frommer und verdienstvoller Akt‹, erwiderte er zweifelnd. ›Handelt es sich denn um eine angesehene Persönlichkeit?‹
    ›Ihm gehört das Schiff, das auf diese wertvolle Fracht wartet.‹
    ›Sidi Bey at-Tayïr, der Kaffeehändler?‹ wollte er verwundert wissen. ›Sidi Bey ist Euer Freund?‹
    ›Er ist ein Freund von mir wie auch von Fartax‹, log ich sehr überzeugend. Und bevor er überhaupt noch darüber nachdenken konnte, fragte ich auch schon: ›Darf ich ihn holen gehen?‹
    ›Bringt ihn her‹, willigte der Imam ein.
    Daraufhin ging ich zurück zum Tor und bedeutete Sidi Bey, mit mir zu kommen. Er konnte kaum glauben, daß sich jemand um sein Anliegen kümmerte.
    ›Diese Geste werde ich Euch nie vergessen‹, sagte er bewegt. ›Solange man draußen ist, scheinen alle auf deiner Seite zu sein, aber nur wenige erinnern sich an einen, wenn sie es erst einmal geschafft haben, hineinzukommen.‹
    Die anderen Gläubigen machten uns Platz, man reichte uns Nadel, Faden und Fingerhut, und dann halfen wir mit, die Inschriften fertigzustellen, die
Hazem,
Gürtel, genannt werden, das ist der Streifen, über dem die goldenen Lettern angebracht werden.
    Während wir uns hingebungsvoll unserer Arbeit widmeten, dachte ich angestrengt nach. Sollte ich wirklich nach Mekka reisen? Das hieße, mich noch weiter von Rebecca und dir zu entfernen, auf der Suche nach etwas, das jedesmal, wenn ich mich ihm näherte, noch weiter zu fliehen schien. Andererseits |552| wären all meine bisherigen Anstrengungen vergeblich gewesen, wenn ich jetzt mit leeren Händen nach Spanien zurückkehrte. Zudem würde sich mir nie wieder eine solche Gelegenheit bieten. Gewiß, die Reise in die Heilige Stadt kam dem Eindringen in die Höhle des Löwen gleich, und jeder falsche Schritt konnte meinen Tod bedeuten. Und selbst so konnte mir niemand zusichern, daß ich die Kodizes wirklich zu Gesicht bekommen würde, die sowohl den letzten Keil des Pergaments als auch die ›Sarazenische Chronik‹ enthielten, in der erklärt wird, wo die Schätze von Antigua verborgen waren. Auch gab es keine Gewißheit, daß ich das Pergament danach tatsächlich entschlüsseln konnte. Und erst recht keine, daß ich zusammen mit dem Großscherif die Kaaba betreten durfte, wo ich vielleicht endlich erfahren könnte, wie die einzelnen Keile jenes Labyrinths zusammenpaßten und worin das Geheimnis bestand, das über Jahrhunderte und Kontinente hinweg eine Art Eigenleben zu führen und seine eigenen Ziele zu verfolgen schien, weit über die der Menschen hinaus, so mächtig diese auch sein mochten.
    Der Tag neigte sich seinem Ende zu. Ich mußte mich entscheiden. Und ich mußte mich von Sidi Bey verabschieden. Doch bevor wir uns erhoben, stellte ich ihm zu meiner eigenen Überraschung eine Frage.
    ›Gibt es auf Eurem Schiff vielleicht noch einen Platz für mich?‹
    ›Wollt Ihr etwa nach Mekka reisen?‹ fragte er erstaunt zurück. Als ich nickte, lächelte er und versicherte mir: ›Bis Dschidda könnt Ihr auf meinem Schiff reisen, und danach besorge ich Euch ein Reittier bis zur Heiligen Stadt. Dort wird jedoch alles viel schwieriger werden. Ihr müßt wissen, daß nicht einmal ich dort sicher sein werde. Haltet Ihr dennoch an Euren Reiseplänen fest?‹
    ›Ja. Ich werde Euch natürlich für die Überfahrt bezahlen.‹
    ›Das kommt gar nicht in Frage. Ihr seid mein Gast. Mein Sohn und ich werden uns eine Kajüte teilen und Euch die andere überlassen.‹
    |553| Kaum war also das

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