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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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schwarze Tuch für die Kaaba fertiggenäht und bestickt, brachen wir nach Suez auf, wo uns im Hafen eines dieser dreimastigen Segelschiffe erwartete, die auf dem Meer zwischen Afrika und Asien unterwegs waren und die man
Dau
nannte.
    Am dritten Tag der Überfahrt wurde ich krank. Schon in der ersten Nacht auf hoher See hatte ich einen seltsamen Geruch bemerkt, der aus dem Kielraum heraufdrang. Am nächsten Morgen war mir beim Aufwachen speiübel. Sidi Bey schien den Geruch jedoch nicht wahrzunehmen;er riet mir nur, Ingwerwurzel zu kauen, die er für den Fall, seekrank zu werden, immer dabeihabe. Doch kaum hatte ich mich in meine Kajüte zurückgezogen, wurde der Gestank wieder stärker. Mir blieb kaum Luft zum Atmen. Ich erbrach zum ersten Mal Galle und begann, im Fieber irrezureden. So feinfühlig wie nur möglich, um meinen Gastgeber ja nicht zu kränken, bat ich, an Deck schlafen zu dürfen. Da ging ihm auf, daß es mir gar nicht gutging. Als ich Stunden später aus einer meiner fiebrigen Ohnmachten erwachte, saß Sidi Bey neben mir und legte heiße Umschläge auf meine Stirn und die Handgelenke.
    ›Was ist Euch da passiert?‹ wollte er wissen und zeigte auf das Brandmal an meiner linken Hand, das ich normalerweise mit dem Hemdsärmel bedeckte.
    Ich tat so, als hätte ich seine Frage nicht gehört, dennoch beunruhigte sie mich, da ich wußte, daß er eigentlich in Konstantinopel wohnte. Ich war ihm dankbar dafür, daß er nicht weiter nachhakte. Ich fühlte mich sehr schwach. Trotz seiner Pflege verschlechterte sich mein Zustand zusehends, und ich fing an, um mein Leben zu fürchten.«
    Randa hält einen Moment lang inne. Auch wenn er seiner Tochter nichts davon erzählen will, erinnert er sich jetzt doch an seine wirren Fieberträume, in die sich immer wieder das Gebell eines Hundes mischte, den sich der Kapitän zum Fangen der Ratten hielt, als könnte das Tier die Stürme wittern, die sich in seinem Inneren entfesselten. Während seiner Delirien verstrickten und verwirrten sich Bilder seiner Vertraulichkeiten |554| mit Tigmú mit dem Labyrinth, welches das Pergament und scheinbar auch sein Gemüt beherrschte. Er träumte von der jungen Mulattin auf dem Sklavenmarkt und im verfallenen Palast neben Rubén Cansinos, und er fühlte ihre Haut auf der seinen und hörte sie wieder jene trostlose Melodie singen, als er aus Fes floh. Und er begann sich zu fragen, welche Macht diesem Labyrinth innewohnte, um sich derart in ihm festsetzen und verselbständigen zu können, wenn das Fieber ihn die Herrschaft über sein Bewußtsein und seine Sinne verlieren ließ. Vergeblich versuchte er, das Bild des Mädchens zu bannen und statt dessen das Bild Rebeccas heraufzubeschwören. Doch es wollte ihm nicht gelingen. Im fiebrigen Dämmerschlaf versuchte er sie sich ins Gedächtnis zurückzurufen, er versuchte sich ihrer im Haus der Toledanos in Konstantinopel zu entsinnen, wo er so lebendig von ihr geträumt hatte, daß er den Traum kaum von der Realität zu unterscheiden vermochte, oder im sonnigen Garten von Tiberias, am Webstuhl im Schatten eines Feigenbaums: Doch alles löste sich in Nebel und einem Gewirr vieler Stimmen auf, ohne daß Rebecca vor seinem geistigen Auge erschien …
    Randa schüttelt unwillig den Kopf, in dem Versuch, die schmerzlichen Gedanken zu verscheuchen, und nimmt dann den Faden der Geschichte wieder auf, um Ruth den Ausgang jener Schiffsreise zu erzählen.
    »Der Hafen von Dschidda liegt in einer Meeresbucht, die voller gefährlicher Korallenriffe ist, weshalb man dort die Augen weit offenhalten und nur mit gerefften Segeln fahren sollte. Doch kamen wir gar nicht dazu, denn uns erfaßte ein derart heftiger Sturm, daß man mich an Deck holte für den Fall, daß wir Schiffbruch erleiden sollten. Eines der Korallenriffe passierten wir so dicht, daß ich darauf die Krebse erkennen konnte, die erschrocken nach allen Seiten davonstoben. Der Kampf mit den Naturgewalten war so gewaltig, daß der Steuermann schließlich doch vom Kurs abkam und wir in der Nähe eines Strandes auf Grund liefen. Ganz zerschlagen ließen wir uns dort in den Sand fallen, wo ich vor Überanstrengung |555| augenblicklich einschlief. Man ließ mich schlafen, bis man die kostbare Fracht und unser Gepäck aus dem gestrandeten Schiff ausgeladen hatte. Als Sidi Bey mich weckte, zeigte er mir als erstes, was die Ursache für die übelriechenden Dämpfe war, die mich krank gemacht hatten. Aus dem gespaltenen Rumpf des Schiffes hingen ein

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