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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Gebete verrichten.
    Danach folgten wir den anderen Pilgern zur Stätte Abrahams, einem Pavillon mit einer von sechs Säulen gestützten kupfernen Kuppel. Von einem Eisengitter geschützt, befindet sich darin ein Altarstein, auf dem der Überlieferung des Korans zufolge Abraham seinen Sohn Ismael opfern sollte, sowie der Fußabdruck des Patriarchen auf einem Stein, der ihm beim Bau der Kaaba als Tritt diente.
    Nachdem wir uns dort wie vorgeschrieben zweimal niedergeworfen hatten, lenkten wir unsere Schritte zum Brunnen Zamzam, der von einer Quelle gespeist wurde, welche der Legende nach Hagars und Ismaels Leben gerettet hatte, als Mutter und Sohn, von Abraham verstoßen, in der Wüste dem Verdursten nahe waren. Die Muslime glauben, daß Hagar, als sie das Wasser aus dem Sand quellen sah,
Zam, zam!
rief, was soviel bedeutet wie ›Höher, höher!‹. Man trinkt von diesem Wasser, soviel man nur kann, denn es steht in dem Ruf, eine heilsame Wirkung zu haben;es heißt aber auch, daß jeder Ungläubige unweigerlich daran ersticken wird, obwohl mir nichts dergleichen geschah. Danach hätte ich mit Sidi Bey eigentlich noch siebenmal zwischen den beiden Hügeln Safa und Marwa hin- und herlaufen müssen, doch die Anstrengungen hatten mich so ermattet, daß ich die beiden Diener, die mich stützten, inständig bat, mich durch die Opferung eines Schafs davon loszukaufen.
    |558| Am nächsten Tag machte ich mich in Begleitung Sidi Beys wieder auf den Weg in den Haram, da ich mich beim Tempelaufseher erkundigen wollte, was ich tun müsse, um vom Großscherif für die Reinigungszeremonie des Heiligtums auserwählt zu werden. Der Tempelaufseher sah mich neugierig an. Ein wohlwollendes Lächeln ging über sein Gesicht, da er sah, welche Anstrengungen ich für meinen Glauben auf mich nahm, obgleich ich von meiner Krankheit noch sehr geschwächt war. Nichtsdestotrotz konnte er mir keine genaue Auskunft geben, er erklärte lediglich:
    ›Die Zeremonie wird in einer Woche stattfinden. Dazu müßt Ihr vorher beim Großscherif vorsprechen.‹
    Ich wußte nicht genau, ob seine Worte an mich oder an Sidi Bey gerichtet waren, jedenfalls hatten sie auf diesen eine größere Wirkung. Sein Gesicht verdüsterte sich, und er verabschiedete sich augenblicklich und zog mich hinter sich her, wobei er etwas Unverständliches vor sich hin murmelte. Auf dem ganzen Weg nach Hause sagte er kein Wort.
    ›Was ist los?‹ fragte ich ihn. ›Warum seid Ihr so bekümmert? Er hat uns doch gerade den perfekten Vorwand geliefert, beim Großscherif vorzusprechen und ihn nach Cansinos’ Kodizes zu fragen, ohne Verdacht zu erregen.‹
    ›Der Mann hat recht. Es ist allein der Großscherif, der die Kaaba mit seinem silbernen Schlüssel zu öffnen vermag. Ihr werdet nicht umhinkönnen, ihm, der höchsten Autorität dieser Stadt, Eure Bitte persönlich vorzutragen.‹
    ›Habt Ihr schon einmal mit ihm zu tun gehabt?‹
    ›Ja, natürlich‹, antwortete er. ›Das ist nicht meine Sorge.‹
    ›Was dann …?‹
    ›Wenn er erfährt, daß Ihr ein Empfehlungsschreiben von Euldj Ali bei Euch tragt, wird er Euch näher kennenlernen wollen … und er wird Euch in seinen Palast einladen … und Euch zu Ehren ein Bankett geben … und …‹
    Warum stockte er ständig? Irgendwie schien er mir vermitteln zu wollen, daß eine solche Einladung einer unabwendbaren Katastrophe gleichkam.
    |559| ›Und …?‹ bohrte ich nach, um ihn zum Weitersprechen zu bewegen.
    ›Ach, nichts … Ich möchte Euch nur bitten, vorsichtig zu sein, denn ich weiß nicht, wie er zu Fartax steht, ob er ihm Freund oder Feind ist. Die Intrigen sind nur schwer zu durchschauen. Viele, die die Türken in der Öffentlichkeit umarmen, wünschen ihnen im stillen den Tod. Ihr werdet es schon noch sehen.‹
    Am nächsten Morgen fühlte ich mich bereits viel besser, was alle der wohltätigen Kraft des schwarzen Steins und des Wassers aus dem Zamzam zuschrieben.
    Nach dem Mittagessen verkündete mir Sidi Bey:
    ›Ich war im Palast des Großscherifs. Er wird Euch übermorgen empfangen …‹ Er atmete tief ein und fügte hinzu: ›Er lädt Euch zum Abendessen ein.‹
    ›Aber Euch doch hoffentlich auch?‹ fragte ich, erfreut über die Aussicht, meinem Ziel einen Schritt näher gekommen zu sein.
    ›Leider ja‹, erwiderte er verzagt.
    Abwehrend hob er die Hand, als er meinen fragenden Blick sah. Er wollte lieber keine Erklärungen geben, und es erfüllte mich mit großer Sorge, daß ein so aufrichtiger Mann sich

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