Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
Vom Netzwerk:
mich jedoch auf meinen Araberhengst geschwungen, griff er noch einmal nach den Zügeln und blickte mich lächelnd an.
    ›Lebt wohl, Raimundo. Und kehrt mir wohlbehalten nach Spanien zurück!‹
    Er hatte es auf türkisch gesagt, damit niemand ihn verstehen konnte. Vor Schreck fiel ich fast aus dem Sattel.
    |580| ›Was … was habt Ihr gesagt?‹
    ›Ich kenne Eure Geschichte, Raimundo Randa. Eure Geschichte mit Euldj Ali, meine ich. Ich habe sein Brandzeichen auf Eurem Handgelenk gesehen. Es ist zwar auf den ersten Blick nur schwer zu erkennen, aber wenn man genau hinsieht und zudem ein Kaffeehaus in Konstantinopel hat, weiß man über gewisse Dinge Bescheid und muß nur zwei und zwei zusammenzählen.‹
    ›Und wieso habt Ihr mich nicht verraten?‹
    ›Warum hätte ich das tun sollen? Wenn man in geselliger Runde seinen Kaffee trinkt, hört man so allerlei. Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, zu leben und leben zu lassen. Außerdem habe ich noch nie einen so lammfrommen Mekkapilger gesehen‹, brummte er lächelnd.
    ›Ich war von der Krankheit noch sehr geschwächt‹, erwiderte ich lachend.
    ›Das muß es wohl gewesen sein.‹
    ›Darf ich Euch um einen Gefallen bitten?‹ wagte ich ihn zu fragen.
    ›Eine Botschaft vielleicht, die ich übermitteln soll?‹
    ›Wie habt Ihr das erraten?‹
    ›Weil ich auch Eure Geschichte mit der schönen Rebecca Toledano kenne‹, erwiderte er.
    Da beugte ich mich vom Pferd und reichte ihm den Brief, den ich verzagt in meiner Satteltasche verstaut hatte, da mir niemand eingefallen war, dem ich ihn hätte anvertrauen können. Er versprach mir, ihn in Alexandria dem ersten Schiff mitzugeben, das nach Spanien fuhr. Dann gab er meinem Hengst einen zärtlichen Klaps, und als ich schon davonritt, rief er mir noch hinterher:
    ›Habt Ihr schon einmal dieses Getränk probiert, das Eure Landsleute von den Westindischen Inseln mitgebracht haben, dieses
chocolate?‹
    ›Hin und wieder. Es ist gar nicht schlecht.‹
    ›Glaubt Ihr, daß man damit Geschäfte machen kann? So wie mit Kaffee, meine ich.‹
    |581| ›Wo? In Konstantinopel?‹
    ›Ja. Ihr wißt ja, wie sehr die Türken das Leben genießen‹, rief er nun schon etwas lauter, da ich bereits ein ganzes Stück von ihm entfernt war.
    ›In Euren Händen wird es sicher Früchte tragen!‹ rief ich zurück und hob noch einmal die Hand zum Abschied.
    ›Vielleicht versuche ich es!‹ schrie er mir noch hinterher.
    Das war das letzte, was ich aus der Entfernung noch verstehen konnte, denn auf einmal erschallte ein Horn, das Zeichen zum Aufbruch, das sich wie ein Echo die ganze Karawane entlang wiederholte. Die Menge jubelte und schrie durcheinander. Sand wirbelte auf, als sich die Kamele eines nach dem anderen erhoben. Die Sonne, eine riesige orangerote Scheibe, versank im violetten Dunst. Und ihre letzten Strahlen verlängerten die Schatten der Dünen und vergoldeten die Staubwolken und schlugen mich ganz in ihren Bann. Ein neues Abenteuer begann. Meine letzte Mission.«
    Im selben Augenblick nähern sich schnelle Schritte der Zellentür, so daß Ruth ihrem Vater nur noch zuflüstern kann:
    »Diesen Brief haben wir nie erhalten. Entweder ist er unterwegs verlorengegangen, oder Artal hat ihn abgefangen. Werdet Ihr Zeit haben, Eure Geschichte zu beenden? Es bleiben uns nur noch zwei Tage.«
    »Das hoffe ich doch, meine Kind.«
    Nachdem Artal de Mendoza Ruth hinaus zu seinen Soldaten gestoßen hat, dreht er sich noch einmal zu Randa um. Sein Blick ist halb flehend, halb drohend, während er mit der Linken seine andere Hand stützt, die falsche, die, die seinen Armstumpf zusammenpreßt. Unschlüssig sieht er Randa unverwandt an, vielleicht erwartet er, daß dieser den ersten Schritt tut und sich anbietet, seine Hand zu untersuchen, wie beim letzten Mal. Aber der Gefangene räumt jedes Mißverständnis mit den Worten aus:
    »Wenn Ihr mir Eure silberne Hand nicht hierlaßt, damit ich sie mir in Ruhe ansehen kann, kann ich nichts für Euch tun. Und ich brauche dazu meine Goldschmiedezangen.«
    |582| Da dreht Artal de Mendoza sich abrupt um, schlägt die Tür heftig hinter sich zu und verriegelt das Schloß. Randa hört, wie er sich laut fluchend den Gang hinunter entfernt.

|583| 10 Die mentalen Tunnel
    Sein Kopf war eine Achterbahn. Es schien kein Traum zu sein, sondern der Eintritt in eine andere Dimension. Er wurde von einem Strudel von Empfindungen erfaßt, in dem Bildfetzen aufblitzten wie die Splitter eines zerbrochenen Spiegels.

Weitere Kostenlose Bücher