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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Tāriq ibn Ziyād und Musa ibn Nusayr,
damit sie ihm Rechenschaft ablegten. Aus ihrenWorten und denen
seiner Ratgeber und Gesetzeskundigen, die unzählige alte
Handschriften studiert hatten, schloß er, daß die ganze Macht des
Talismans in einem Labyrinth lag, das in den Wandteppich eingewebt
war, welcher sich in der Truhe befand. Und er sagte sich,
daß, wenn er diesen Teppich unter seinen Thron legte, er sich für
alle Zeiten die unumschränkte Herrschaft sichern könnte über all
die Lande, die sich entlang dem Mittelmeer von Qasarra bis nach
Al-Andalus erstreckten. Von seinen Weisen erfuhr er indes auch,
daß es nicht ratsam sei, sich demTalisman nähern zu wollen, wie
dies der unbesonnene Gotenkönig getan hatte.
    Deshalb befahl der Kalif seinem besten Kalligraphen, das Labyrinth
in all seinen Einzelheiten aufzuzeichnen, und seinen
Mosaizisten, den Boden unter seinem Thron in Qasarra mit
einem ebensolchen Mosaik auszulegen. Und auch im Haram von
Mekka und dem Felsendom in Jerusalem, den sein Vater erbaut
hatte, ließ er es verewigen. Und ein weiteres entstand auf sein Geheiß
in Antigua, das den versunkenen Talisman schützen sollte,
so daß nur derjenige zu ihm gelangen könnte, der dieses Geheimnis
kannte, und niemand anderes seine Macht und Wirksamkeit
störte.
    Und um den nach uns Kommenden zu zeigen, wie es aussah,
zeichnen wir in dieser
Chronik
jenes Muster auf, so wie es uns
überliefert wurde. Und wir brennen es in diese feine Gazellenhaut
, damit dieses geheime Wissen auch den nachfolgenden Geschlechtern
erhalten bleibt.
    ›In welchem Teil der syrischen Wüste liegt diese Stadt Qasarra?‹ fragte ich den Kalligraphen.
    ›Im Süden. Aber Qasarra ist keine Stadt, sondern einer jener Wüstenpaläste, wie die Omaijaden sie benutzten, um sich vom Trubel des Hofs zu erholen.‹
    ›Und wie kommt man dorthin?‹
    |574| ›Mit der Karawane, die von Mekka nach Bagdad zieht. Bevor ihr an den Euphrat kommt, müßt Ihr Euch allerdings westwärts halten. Es ist jedoch fraglich, ob Ihr es finden werdet.‹
    Ich merkte, daß der Kalligraph Abbas mir inzwischen zwar mit weitaus weniger Mißtrauen begegnete als zu Beginn, doch würde er gewiß nicht mehr preisgeben, wenn ich ihm nicht einen Teil meiner Mission offenbarte. Also holte ich einen der Pergamentkeile hervor. Aber nicht irgendeinen, sondern den, auf dessen Rückseite ETEMENANKI geschrieben stand. Der Kalligraph betrachtete lange die Vorderseite, ohne daß auch nur ein Wort über seine Lippen kam. Dann drehte er das Pergament um, und als er das Wort ETEMENANKI las, erbleichte er. Doch er hüllte sich auch weiterhin in Schweigen.
    Ich sah zu Sidi Bey hinüber, dessen Mienenspiel ich inzwischen genauestens zu deuten wußte. Und darin las ich die Notwendigkeit, alles auf eine Karte zu setzen, um die Zweifel zu zerstreuen, die an dem Kalligraphen nagten. Daher holte ich auch die restlichen zehn Keile hervor, so daß nun alle zwölf vor uns auf dem Tisch lagen.
    ›Wenn ich also in Qasarra das Mosaik mit dem Labyrinth finde, werde ich erfahren, wie diese Pergamentstücke zusammenpassen …‹
    ›Es scheint so‹, entgegnete Abbas zurückhaltend.
    ›Und wenn ich sie nach dem Muster des Mosaiks ordne, was denkt Ihr, was dabei herauskommt?‹ fragte ich und zeigte unbefangen auf die Keile: ›Ein Labyrinth, wie es in der
Chronik
heißt? Oder eine Folge von Wörtern?‹
    ›Vielleicht keins von beidem … und trotzdem beides zugleich‹, antwortete er geheimnisvoll.
    ›Wenn Ihr, der Ihr einer der besten Kalligraphen des Islam seid, das nicht wißt, wer kann mir dann eine Antwort geben?‹
    ›Eine solche Schrift verwenden wir hier nicht. Man sagt, sie stamme aus Mesopotamien, genauer gesagt aus Kufa, unweit von Qasarra. Aber ich glaube, sie ist noch weitaus älter als diese |575| Stadt und schon im alten Babylonien entstanden. Sie war sowohl Vorbild für die aus dem Quadrat hervorgehende Schrift wie auch für die Architektur, die vom Kubus ausgeht, auf dem alles gründet. In diese Schrift sind die ältesten Ausformungen der menschlichen Sprache eingegangen, bevor sich die Wörter von den Bildern trennten: archaische Bildsymbole, Hieroglyphen, keilförmige Zeichen … Wie ein Wassertropfen all das zu spiegeln vermag, was ihn umgibt, läßt sich durch sie die Seele, das Wesen der Welt einfangen und dieses Wissen für Zeit und Ewigkeit bewahren.‹
    ›Und wie ist das möglich?‹ wollte ich wissen. Ich war mir nicht sicher, ob ich wirklich erfaßte, was er mir da

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