Kryptum
Heimat zurückkehrte, das alle Verdächtigungen beseitigen und uns die königliche Protektion sichern würde, nach der wir uns so sehr sehnten. Die Entscheidung fiel, als ich herausfand, daß es nicht besonders mühselig sein würde, mich hinterher der Karawane von Bagdad nach Damaskus anzuschließen und von dort ins Heilige Land zu reisen, wo ich ein Schiff zurück nach Spanien besteigen konnte. Für alle Fälle schwor ich mir aber, nicht weiter als bis zum Tigris zu reisen, was auch immer geschehen mochte. Und auch euch versprach ich es aufs feierlichste in einem Brief, in der Hoffnung, vor meiner Abreise noch einen Weg zu finden, ihn euch zukommen zu lassen. Ich saß gerade über dem Papier in Sidi Beys Haus, als ein Diener aufgeregt hereingelaufen kam.
›Die Karawane nach Bagdad beginnt sich aufzustellen!‹
Eilig hieß ich ihn meine Bündel schnüren und lief dann zu meinem Gastgeber, um mich zu verabschieden, doch der beruhigte mich.
|578| ›Nur keine Aufregung, Ihr habt noch genug Zeit. Kennt Ihr unseren Dichter Mayrata? In einem seiner Verse heißt es, daß sich eine gute Karawane so langsam aufstellt, wie es Zeit braucht, einen ganzen Teppich zu weben.‹
Dennoch spürte ich, daß der Moment des Abschieds unmittelbar bevorstand. Ich griff in meine Gürteltasche und reichte ihm den Rubin, den mir Ali Fartax geschenkt hatte, als wir uns in Alexandria verabschiedeten.
›Es gibt nichts, was die Gastfreundschaft, die Ihr mir erwiesen habt, aufwiegen kann. Dennoch bitte ich Euch, dieses Zeichen meiner Dankbarkeit und Freundschaft anzunehmen.‹
Sidi Bey betrachtete den herrlichen Edelstein und wollte ihn mir zurückgeben.
›Ihr werdet ihn brauchen. Behaltet ihn bitte, für den Fall, daß Euer Leben in Gefahr ist.‹
Ich nahm ihn jedoch nicht an, sondern schloß seine Hand um das Juwel und küßte sie zum Zeichen meiner tiefsten Verbundenheit. Unwillig schüttelte er den Kopf. Dann rief er laut nach seinem Hausverwalter, dem er einen Wink gab, den dieser sofort zu verstehen schien, denn er machte auf der Stelle kehrt und verschwand.
›Kommt mit‹, sagte Sidi Bey.
Er führte mich zum hinteren Teil des Hauses, wo sich die Stallungen befanden. Wir hatten den Hof noch nicht ganz überquert, als wir ein lautes Wiehern vernahmen und aus einem der Ställe der Verwalter trat, ein prächtiges Pferd am Zügel. Sidi Bey bedeutete ihm, es an der Longe im Kreis herumzuführen. Es hatte schmale Fesseln, eine wohlgeformte Kruppe, einen schlanken Hals, lange Ohren und große, funkelnde Augen: ein Grauschimmel, ein stolzes Tier, wohl noch keine drei Jahre alt.
›Wie habt Ihr erraten, daß ich Pferde liebe?‹
›Es genügte, zu sehen, wie Ihr mit ihnen umgeht. Sonst würde ich Euch diesen Hengst niemals anvertrauen. Er ist ein
yelfé
, ein reinrassiger Araber edelster Herkunft. Seine Mutter war eine jemenitische Stute, die beste, die ich je hatte.‹
|579| ›Wie heißt er?‹
›Dhikra‹, antwortete er. Und da dieses Wort ›Erinnerung‹ bedeutet und ich ihn fragend ansah, fügte er hinzu: ›Ich gab ihm diesen Namen zum Gedenken an meine Frau. Er wurde an dem Tag geboren, als sie starb.‹
›Ich werde ihn behalten, in Erinnerung an unsere Freundschaft‹, sagte ich.
An den Geldsummen, die mir später jeder für Dhikra bot, der ihn erblickte, erahnte ich, daß er zur wertvollsten Linie der arabischen Vollblüter gehörte. Er war ein unermüdlicher, fantastischer Läufer von flinkem und feurigem Temperament, der Hunger und Durst lange ertrug. Zugleich war er sehr folgsam, nie schlug er aus oder machte Anstalten zu beißen. Und einmal rettete er mir sogar das Leben.
Am Tag, als die Karawane fertig aufgestellt war, fand ich Dhikra gezäumt und mit einem vortrefflichen Sattel vor, der auf meiner Reise viel Neid hervorrufen würde. Sidi Bey hatte außerdem mit einem der Karawanenführer gesprochen, damit es mir an nichts fehlte, und fünf Männer angeworben, die mich nach Qasarra und dann nach Kufa begleiteten sollten.
›Es wird Zeit‹, sagte ich, um einen langen, schmerzlichen Abschied zu vermeiden.
›Immer mit der Ruhe. Ihr werdet nicht vor der Abenddämmerung aufbrechen‹, sagte er. ›Die Karawane reist nur nachts im Schein der Fackeln. Diese Wüste ist in der Hitze des Tages nicht zu durchqueren.‹
Einige Stunden später begann die Sonne unterzugehen. Während ich Sidi Bey umarmte, konnte ich die Tränen kaum zurückhalten. Nie zuvor war mir ein so großherziger Mensch begegnet. Kaum hatte ich
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