Kryptum
sagte.
›Weil die Sprache, die hinter diesen Zeichen steckt, allumfassend ist. Gott ist Geometrie und die Kaaba das Fundament, von dem aus der Allmächtige sich und seine göttlichen Vorhaben dem Diesseits offenbart und alles Sein bestimmt. Und von diesem seinem
Bayt Allâh
aus dehnt es sich in alle Richtungen aus, wie ein Kind im Bauch seiner Mutter.‹
›Verstehe ich Euch richtig, daß in diesen rätselhaften Linien die …
Sprache
verborgen ist, mittels deren man mit der gesamten Schöpfung in Verbindung zu treten vermag?‹ stammelte ich ungläubig. ›Und wer um alles in der Welt ist imstande, sie zu entschlüsseln, sobald ich das Labyrinth richtig zusammengefügt habe?‹
Ich hoffte, er würde sich dazu bereit erklären. Aber er schien dazu nicht willens zu sein. Vielleicht aus Unwissenheit. Oder aus Klugheit. Vielleicht aber auch aus dem Wissen heraus, daß er schon viel zu weit gegangen war. Oder weil diese Aufgabe einem Initiierten von höherem Rang zukam. Jedenfalls sagte er zu mir:
›Ich kenne nur einen Menschen, der das könnte: Gabbeh, der segensreichste aller Kalligraphen und Meister aller Meister. Obgleich ich nicht glaube, daß er gerade Euch darin unterweisen wird. Viele haben ihn schon darum gebeten, und er hat sich nicht darauf eingelassen, selbst wenn es sehr angesehene Persönlichkeiten waren, die ihn in aller Bescheidenheit darum |576| ersuchten. Keiner von ihnen hat die Prüfungen bestanden, denen er sie zuvor unterzog. Zunächst einmal müßtet Ihr ihn überhaupt finden, denn er hält sich versteckt. Man sucht ihn schon seit langem. Er wird beschuldigt, einer streng verfolgten Sekte anzugehören.‹
›Den Sufis?‹ fragte Sidi Bey dazwischen.
›Das hat man behauptet. Aber in Wirklichkeit hütet er die Lehren eines sehr viel älteren Geheimbundes. Der Bruderschaft von ETEMENANKI. Vielleicht öffnet Euch ja der Keil, auf dem dieses Wort geschrieben steht, die Türen zu ihm.‹
›Und warum werden die Brüder verfolgt?‹ wollte ich wissen.
›Weil sie mittels dieser Schrift ihr okkultes Wissen weitergeben können, was die Obrigkeiten unter allen Umständen zu verhindern suchen, da sie dessen Macht fürchten. Sie verbergen es in Teppichen, kalligraphischen Schriften, ja selbst der Architektur, und allein die Initiierten können es verstehen. Eure Reise nach Qasarra oder an irgendeinen der Orte, wo dieses Labyrinth zu finden ist, wird vergebens sein, wenn Ihr nicht lernt, diese geheime Schrift zu entschlüsseln. Und das kann Euch nur Gabbeh beibringen.‹
›Und wie gelange ich zu seinem Versteck?‹
›Wenn Ihr das Mosaik in Qasarra gefunden und diese Keile richtig zusammengesetzt habt, müßt Ihr nach Kufa reisen, das an den Ufern des Euphrats liegt. Ich werde Euch ein Empfehlungsschreiben für Yunan aufsetzen, der in der größten Moschee jener Stadt die gleiche Stellung bekleidet wie ich hier. Das ist das einzige, was ich für Euch tun kann.‹
Zwar versuchte ich, dem Kalligraphen noch weitere Einzelheiten zu entlocken, doch er gab mir deutlich zu verstehen, daß er nicht mehr zu sagen hatte. Er rollte die zwölf Keile vorsichtig in meine Urkunde ein, drückte sie mir in die Hand und verabschiedete uns wortlos mit einem freundlichen Nicken.
Kaum standen wir draußen, sagte Sidi Bey:
›Es ist sinnlos, noch weiter nachzubohren, selbst in meiner Begleitung und mit diesem Pergament. Wenn irgend jemand |577| erfährt, daß er Euch von dieser geheimen Bruderschaft erzählt hat, wird man ihn auf der Stelle verhaften und hinrichten.‹
›Gehört er dieser Sekte an?‹
›Das habe ich nie erfahren‹, bekannte Sidi Bey. ›Ich habe ihn aber auch nie danach gefragt und werde mich hüten, es jemals zu tun, denn ich möchte unsere Freundschaft nicht gefährden. Wenn Ihr mehr wissen wollt, müßt Ihr nach Qasarra reisen. Und dann nach Mesopotamien. Nach Kufa. Die Karawane nach Bagdad wird bald aufbrechen. Sie ist groß und gut bewacht. Männer meines Vertrauens werden ebenfalls mit ihr reisen. Ich kann Euch mit jemandem zusammenbringen, der jene Wüsten gut kennt und Euch für wenig Geld zu diesen Orten begleitet.‹
Die Aussicht auf eine weitere Reise beunruhigte mich zutiefst, denn ich würde mich noch weiter von dir und Rebecca entfernen. Das Ganze kam allmählich einer unendlichen Geschichte gleich. Ich war hin- und hergerissen. Trotzdem mußte ich mir einmal mehr eingestehen, daß alle meine bisherigen Mühen umsonst gewesen wären, wenn ich nicht mit etwas Greifbarem in die
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