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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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dem verborgenen Teil unseres Gehirns.«
    »Sie meinen die mentalen Tunnel?«
    Víctor Tavera zuckte mit den Schultern.
    »Das ist Doktor Vergaras Gebiet.«
    »Ich glaube nicht an die Geschichte mit der Zungenrede und dem Heiligen Geist, und auch nicht an die Stimme der Götter«, sagte der Arzt skeptisch. »Meiner Einschätzung nach löst der Verlust des Bewußtseins, das heißt also, wenn der Mensch |596| in Trance fällt, rhythmische Entladungen aus, die den ältesten Strukturen des Gehirns entstammen. Den angeborenen,naturgegebenen, über die jeder Mensch verfügt. Auch Sie. Fühlen Sie sich kräftig genug, um ein paar Tests zu machen?«
    »Natürlich.«
    »Ich frage das, weil jetzt der ideale Augenblick dafür wäre. Aber wenn Sie sich noch schwach oder müde fühlen, sagen Sie mir Bescheid, und wir verschieben die Tests. Ich hätte Sie gerne mindestens noch einen Tag lang hier, um morgen einen anständigen Gehirn-Check zu machen. Aber vorher können wir mit etwas Einfacherem beginnen.«
    »Von mir aus kann es gleich losgehen.«
    »Sehr gut.« Und an Bealfeld, Tavera und Rachel gewandt, fügte der Arzt hinzu: »Gehen Sie bitte ins Wartezimmer. Ich werde unseren Patienten mit nach nebenan nehmen.«
    »Mr. Minspert, schauen Sie mal, sie verlegen ihn.«
    James Minspert griff nach dem Fernglas und spähte zum Krankenhausfenster hinüber.
    »Tatsächlich. Nimm das Gewehr und folge ihm mit dem Zielfernrohr«, befahl er dem Agenten.
    Der Schütze richtete die Waffe auf dem Stativ aus und verfolgte durch eine Lücke in der Baumkrone, wie das Krankenbett aus dem Zimmer hinaus- und dann den langen Flur mit seinen vielen Fenstern entlanggeschoben wurde, bis sich kein Hindernis mehr zwischen der Gewehrmündung und dem Kopf des Kryptologen befand.
    »Ich hab ihn im Visier«, rief er.
    »Nein, das ist viel zu weit hinten. Warte, bis sie ihn in ein Zimmer schieben. Und schieß nicht, bevor du dir nicht ganz sicher bist. Wenn du nicht triffst, haben wir keine andere Chance mehr.«
    »Jetzt! Sie schieben das Bett in ein Zimmer«, rief der Killer. »Direkt ans Fenster.«
    »Laß mich mal ran«, verlangte Minspert.
    Und er sah, wie David Calderóns Kopf tatsächlich genau in |597| der Schußlinie lag. Er trat von der Waffe zurück und befahl seinem Agenten:
    »Mach dich bereit!«
    Nachdem er sich ein Stirnband übergestülpt hatte, damit ihm kein Schweißtropfen in die Augen lief, nahm der Schütze seinen Platz wieder ein. Er blickte durchs Zielfernrohr, legte den Finger auf den Abzug, atmete tief ein und machte sich bereit, abzudrücken.
    Doktor Vergara trat ans Fenster und drehte sich dann zu David um. An die Fensterbank gelehnt, erklärte er ihm Schritt für Schritt, welche Tests sie mit ihm machen wollten, und ließ dann die Rolläden herunter, als er sicher war, daß sein Patient ihn verstanden hatte. Er knipste eine kleine Lampe an und setzte sich neben ihn. In der Dunkelheit erblickte der Kryptologe vor seinen Augen zwei leuchtende Plastikscheiben.
    »Achten Sie gut auf die Bilder, die Sie gleich sehen werden«, bat ihn der Neurologe.
    Das Knipsen eines Schalters war zu hören, und vor Davids Augen tauchten zwei menschliche Gesichter auf, eines auf der linken und eines auf der rechten Scheibe.
    »Sehen sie für Sie gleich aus?« fragte Vergara.
    David sah sie sich genau an. Eigentlich sahen sie eher wie Gipsabgüsse oder Masken aus.
    »Hm … ja«, antwortete David zögernd. »Vielleicht ist das Licht etwas unterschiedlich.«
    »Aber ansonsten würden Sie sagen, daß die beiden Gesichter identisch sind?«
    »Ich glaube ja.«
    »Sehr gut. Passen Sie jetzt auf. Lassen Sie sie nicht aus den Augen.«
    Die beiden Plastikscheiben begannen sich langsam zu drehen, aber in entgegengesetzte Richtungen. Und die beiden Gesichter darauf drehten sich mit: das auf der linken Scheibe nach links und das auf der rechten nach rechts.
    Der Kryptologe folgte den Bewegungen mit vollster Konzentration. Doch |598| plötzlich geschah etwas Merkwürdiges: Während sich das Gesicht auf der linken Scheibe immer in der gleichen Richtung weiterdrehte, blieb das auf der rechten hängen, es schien plötzlich aus dem Lot geraten zu sein und änderte seine Drehrichtung, was in David ein Schwindelgefühl und Panik hervorrief. Es war wie ein Kurzschluß in seinem Kopf.
    »Was ist los?« fragte David bestürzt.
    »Sagen wir mal, Sie haben einen Ihrer mentalen Tunnel betreten. Das heißt, Sie sind einer optischen Täuschung erlegen«, antwortete der Arzt. »Das

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