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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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und gar nicht. Mentale Tunnel sind objektive Mechanismen zur Entscheidungsfindung. Sie existieren unabhängig von einem Subjekt und seinem Bewußtsein und lassen die meisten Menschen den gleichen Lösungsweg einschlagen. Den gleichen falschen Lösungsweg, sollte ich vielleicht hinzufügen. Sie sind unabhängig von der Intelligenz und Bildung des einzelnen. Man darf sie vor allem nicht mit einem Mangel an Information verwechseln oder mit bloßen Fehlschlüssen, mangelnder Aufmerksamkeit, Ermüdung, Emotionsstörungen … Mentale Tunnel treten selbst dann auf, wenn wir entspannt sind und nichts zu verlieren haben.«
    »Ein bißchen werden die Vorurteile oder Interessen jedes einzelnen schon hineinspielen, oder?«
    »Na ja, die Wirkung kann dadurch verstärkt werden, sie sind aber nicht die Ursache. Die mentalen Tunnel haben sich aus der Evolution der menschlichen Spezies ergeben. Über Jahrtausende haben sie unsere Urahnen vor wilden Tieren und anderen Gefahren geschützt, als sie noch auf den Bäumen lebten |601| oder in der afrikanischen Savanne jagten. Heute verzerren sie eher unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit.«
    David Calderón dachte eine ganze Weile darüber nach. Schließlich sagte er:
    »Eine letzte Frage hätte ich noch. Wenn alle mentale Tunnel haben, heißt das dann, sie sind allgemeingültig?«
    »So ist es«, bestätigte der Neurologe.
    »Und wenn sie in konkreten Situationen greifen, kann man sie vermutlich erforschen und klassifizieren, oder?«
    »Wie einen U-Bahn -Plan. Man braucht dazu zwar viel Zeit und viel Geld, aber möglich ist es.«
    »Vielen Dank, Doktor«, sagte David. »Jetzt begreife ich erst richtig, wie gefährlich dieser Kahrnesky uns werden kann. Denn ihm wird es an nichts von alledem fehlen.«
    »Das habe ich befürchtet«, sagte Kahrnesky, wobei er auf das Fenster zeigte, vor dem immer noch die Rolläden heruntergelassen waren.
    »Was machen die da, verdammt noch mal?« fragte James Minspert.
    »Sie untersuchen Calderón«, antwortete der »Maulwurf«. Wenn man sich sein Gesicht in diesem Moment ansah, konnte man sich schwerlich einen besseren Spitznamen für ihn denken.
    »Ob sie etwas herausgefunden haben?«
    »Keine Ahnung. In dieser neurophysiologischen Abteilung haben sie ein paar ganz kompetente Ärzte und auch passable Gerätschaften für ihre Untersuchungen.«
    »Wir sind also aufgeschmissen«, schnaubte Minspert. »Hört zu: Morgen früh muß dieser Baum weg sein. Ist das klar?«
    Hinter den heruntergelassenen Rolläden hatten Doktor Vergara Bealfeld und Rachel gerade alles erklärt. Ihre Besorgnis war offensichtlich, so daß David das Ganze herunterspielte.
    »Sehen Sie mich nicht so an. Sie haben auch solche mentalen Tunnel, und wer weiß, in welchem Zustand die sind.«
    |602| Aber Rachel schien nicht zu Späßen aufgelegt.
    »Ich verstehe nicht den Zusammenhang zwischen diesem Gestammel, das Víctor Tavera bei meiner Mutter, David und mir aufgenommen hat, und den EEGs, die Sie parallel dazu erhalten haben, diese Art Röntgenbilder des Gehirns. Und noch weniger verstehe ich, warum Pedro Calderón zu dem gleichen Ergebnis gekommen sein soll, indem er auf Millimeterpapier Kästchen gefüllt hat. Die dann auch noch mit einem alten Pergament und ein paar historischen Plänen übereinstimmen … Das ist absurd.«
    »Es sei denn, es gibt einen Zusammenhang zwischen diesen mentalen Tunneln und dem Programm CA-110, das auch ›Babel‹ genannt wurde, da es ein universelles Übersetzungsprogramm war. Das würde bedeuten, daß das Labyrinth auf dem Pergament, die Bilder, die mein Vater auf den Millimeterpapierbogen zu entwerfen versuchte, und das Gestammel dasselbe Informationsmuster enthalten, eines, das sich über jedes Medium verbreiten kann, vom Gehirn bis hin zu einem Computer.«
    »Aber was für ein Informationsmuster könnte so etwas schaffen?« wandte die junge Frau ein.
    »Dasjenige, das eine bestimmte Frequenz in eine universelle binäre Sprache übertragen könnte. Gibt es so etwas im Gehirn, Doktor Vergara?« fragte der Kryptologe.
    »Ja, das gibt es. Manche nennen es Mentalese
,
die hypothetische Sprache des Geistes, welche jeder Mensch sozusagen in seinem Kopf spricht. Sie gehen von der Annahme aus, daß wir unsere Gedanken auf mentalesisch denken und sie dann in unser erlerntes Sprachsystem übersetzen. Meine Apparate haben diese Muster aufgezeichnet und mit Hilfe des Computers in Klänge und Bilder übersetzt: Sie sind also im Grunde nichts anderes als

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