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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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zu warten. Ich weigerte mich. Wir hatten vor dem ganzen Team einen fürchterlichen Streit. Einen Moment lang glaubte ich, sie würde mich von dem hohen Gerüst stoßen. Sie drohte mir damit, die Fördergelder der Stiftung einzustellen, und warf mir die übelsten Beschimpfungen an den Kopf. Aber ich gab nicht nach. Diese Wandgemälde waren unglaublich wertvoll und mußten sorgsam untersucht werden. Ihre Mutter wußte das ganz genau, weshalb ich ihr Verhalten auch nicht verstand. Das war nicht die Sara, die ich kennengelernt hatte. Sie reiste empört ab. Doch das Schlimmste stand mir noch bevor.«
    Sie zog ein Taschentuch heraus und schneuzte sich, bevor sie weitersprach. Was dort in der syrischen Wüste geschehen war, schien sie immer noch mitzunehmen.
    »Eines Abends saß ich im Camp, das wir in einer alten Karawanserei hatten einrichten dürfen. Ich hatte gerade gegessen und fütterte wie jeden Abend ein paar Uhus, deren Nest ich in einer Wandspalte entdeckt hatte. Sie waren so etwas wie meine Maskottchen, sie hatten mir Glück gebracht. Das Uhu-Weibchen hatte sich am Flügel verletzt und konnte deshalb keine Wüstenmäuse jagen, um seine drei Jungen und sich selbst zu ernähren. Ich fütterte sie also gerade, als auf einmal dieser Kerl hinter mir stand.«
    »Meinen Sie Carter?« fragte Rachel schnell, damit Elvira Tabuenca sich nicht in endlosen Details verlor.
    »Genau der. Er sagte nicht einmal guten Abend. Ich hockte vor den Uhus und erschrak furchtbar. Niemand hatte mir von seiner Ankunft erzählt. Jedenfalls baute er sich vor mir auf und schnaubte: ›Frau Professor, ich dachte, wir hätten eine Abmachung getroffen.‹ Ich sah zu ihm auf und erwiderte: ›Was wollen Sie? Ich habe Sara gesagt, daß wir noch in diesem Sommer ins Innere des Palasts vordringen werden. Und heute haben wir mit der Restauration der Gemälde angefangen.‹ Dann fuhr |651| ich fort, die jungen Uhus zu füttern, die piepend um ihren Anteil bettelten. ›Hören Sie mir gut zu‹, sagte er und machte einen Schritt auf mich zu. Seine schweren Stiefel waren nur noch wenige Zentimeter vor mir. ›Sie haben versichert, Sie würden dieses Jahr fertig werden.‹ Ich sah ihn nicht an, als ich widerwillig antwortete: ›Unvorhergesehene Dinge gehören nun mal zu dieser Arbeit.‹ Darauf erhob er drohend die Stimme: ›Ich habe dieses Jahr gesagt!‹ Darauf antwortete ich ihm nicht mehr. Ich fütterte nur weiter die kleinen Uhus. Da versetzte er mir, ganz außer sich, einen Tritt gegen die Hand, in der ich das Futter hielt, so daß ich das Gleichgewicht verlor und umkippte, derweil er voller Wut meine Vögelchen eines nach dem anderen zertrat … Und als die Mutter der Küken mit ihrem verletzten Flügel angeflattert kam und nach ihm hackte, trat dieser Rohling auch sie platt.«
    Elvira Tabuenca schneuzte sich erneut, bevor sie, wieder etwas gefaßter, fortfuhr:
    »Ich konnte mich unmöglich beherrschen. Das lag wohl an dem Gepiepse, all den Federn und dem Blut. Oder an der Müdigkeit. Vielleicht ja auch daran, daß es mich so viel Mühe gekostet hatte, diese Vögelchen durchzubringen … Jedenfalls rappelte ich mich wutentbrannt auf und ging mit einer Schaufel lauthals schreiend auf dieses Monster los. So etwas hatte er nicht erwartet, ich hatte ihn mit meinem Angriff völlig überrumpelt. Einer meiner Assistenten hielt mich schließlich fest und entwand mir die Schaufel. Da zog der Rüpel eine Pistole.«
    »Eine Pistole?« fragte Rachel erstaunt. »Carter mit einer Pistole? Was Sie mir über sein ungehobeltes Benehmen erzählt haben, wundert mich ja schon sehr … Aber ich hätte mir Carter nie im Leben mit einer Pistole vorstellen können!«
    »Ich laufe normalerweise auch nicht mit einer Schaufel rum und dresche auf den erstbesten ein«, wandte die Archäologin ein. »Irgendwie machte uns dieser Ort alle verrückt.«
    »Erzählen Sie weiter …«
    »Gott sei Dank hatten wir einen Sicherheitsdienst. Als sie |652| das Geschrei hörten, kamen sie gelaufen, um nach dem Rechten zu sehen. Carter senkte seine Waffe. Aber der Chef der Wachleute, ein ganz netter, gab sich damit nicht zufrieden. Er nahm ihn fest. Von ihm erfuhren wir am nächsten Tag, daß die amerikanische Botschaft Carters Freilassung gefordert hatte.«
    Jetzt erschrak Rachel wirklich. Das roch verdächtig nach Geheimdienst. Nur welcher? Die Israelis oder die Amerikaner? Im Endeffekt war es fast einerlei … aber die Israelis würden dort sicher nicht so übermäßig nachsichtig

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