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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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Und währenddessen |678| bereiten wir alles sorgfältig vor. Das ist keine Vergnügungstour. Außerdem könnt ihr da nicht einfach hinuntersteigen, ohne daß wir Inspektor Gutiérrez Bescheid sagen.«
    »O Gott, wenn wir den in unseren Plan einweihen, war’s das«, widersprach David. »Er wird es uns nicht erlauben. Und außerdem ist er einer von Minsperts Spitzeln. Dann können wir ihn ja gleich selbst anrufen. Nein, wir gehen runter, Rachel und ich.«
    »Ihr beide allein? Das kommt gar nicht in Frage! Wie sollen wir von hier oben aus auf euch aufpassen?« wetterte der Kommissar. »Ich bin strikt dagegen, daß ihr da ohne Ausrüstung hinuntersteigt. Und wir müssen die spanische Polizei über euer Vorhaben informieren. Wenn ihr heimlich hinabsteigt, werden wir euch nicht unterstützen können, begreift ihr das denn nicht? Ihr wißt nicht, was euch da unten erwartet! Denkt an das, was geschehen ist, als Calatrava die Plaza Mayor mit dem Georadar untersucht hat.«

|679| XI Das Jahr des Donners
    Im Halbdunkel seiner Zelle fragt sich Raimundo Randa, was draußen vor sich geht. Es ist der letzte Tag der Gnadenfrist, die man ihm gewährt hat. Aus dem Waffenhof des Alkazars dringt aufgeregtes Geschrei zu ihm herein, das den Lärm, der aus der Stadt zu kommen scheint, kaum zu überdecken vermag. Voller Ungeduld wartet Randa auf seine Tochter und wird erst etwas ruhiger, als er hört, wie sich die Schritte der Wachen nähern. Eine halbe Ewigkeit stochert jemand mit dem Schlüssel im Schloß herum, und auch das Knirschen der Riegel dauert länger denn je. Als sie endlich zurückgeschoben sind, öffnet sich die eiserne Tür, und auf der Schwelle erscheint Ruth und hinter ihr Artal de Mendoza, dessen Gereiztheit Randa nicht entgeht. Der oberste Spion hat große Mühe, den Schlüssel aus seiner falschen Hand zu lösen. Da begreift der Gefangene, daß die Schmerzen, die der Mechanismus seinem Armstumpf zufügt, noch unerträglicher geworden sind.
    Er hat keine Ahnung, was nun geschehen wird. Ob man seiner Tochter erlaubt hat, den Wandteppich mitzubringen? Als er sie mit leeren Händen die Treppe heruntersteigen sieht, erschrickt er. Fragend sieht er sie an. Doch aus ihm unerfindlichen |680| Gründen weicht sie seinem Blick aus. Beklommen fragt er sich, warum Ruth ihm an diesem Tag nicht hilft, jetzt, da er es am meisten braucht.
    Da bemerkt er, daß Artal sie genau beobachtet, damit ihm ja kein verschwörerisches Zeichen entgeht, und er begreift, warum die junge Frau sich so verschlossen gibt. Sie dürfen ihre Absichten nicht verraten. Schon das kleinste Anzeichen würde den Argwohn des obersten Spions erregen und seinen Plan zunichte machen. Falls Ruth den Wandteppich mitgebracht hat, muß man ihn ihr abgenommen haben. Und seine Tochter hat sicher keinen Einspruch erhoben, damit niemand Verdacht schöpft.
    Als Artal nach einer Weile, die ihm ewig vorkommt, das Verlies verläßt, zieht Randa seine Tochter zu sich auf die Steinbank und flüstert:
    »Wo ist der Wandteppich?«
    »Ich mußte ihn in der Kammer lassen, in der ich immer meine Kleider ablegen und diese braune Kutte anziehen muß«, antwortet Ruth. »Ich fürchte, Artal de Mendoza wird jeden einzelnen Faden genau untersuchen.«
    »Und wahrscheinlich nicht nur er. Vielleicht läßt er ja auch einen Weber kommen, der ihm sagt, ob ihm etwas daran auffällt. Hast du genau darauf geachtet, daß er wie ein ganz gewöhnlicher Wandteppich aussieht?«
    »Ja, natürlich, Vater.«
    »Dann, mein Kind, bleibt uns nur, auf den Abend zu warten. Was ist eigentlich draußen in der Stadt los?«
    »Die Leute sind sehr aufgewühlt und ängstlich wegen der von Papst Gregor befohlenen Kalenderreform.«
    »Morgen beginnt also eine neue Zeitrechnung?«
    »Heute um Mitternacht. Die letzten elf Tage werden verlorengehen. Als hätte es sie nie gegeben. Deshalb die große Angst unter der Bevölkerung;es heißt, nichts werde mehr so sein, wie es vorher war, dies sei das Jahr des Donners. Es sind auch etliche düstere Prophezeiungen gemacht worden, was heute nacht geschehen wird, denn diese Nacht wird außerhalb von Zeit und |681| Raum bleiben; die Ungeborenen werden vom Himmel herabsteigen und die Toten sich aus ihren Gräbern erheben und unter die Lebenden mischen.«
    »Es geht doch nur um den Austausch von ein paar Zahlen … Aber so ist das nun einmal mit dem Aberglauben.«
    »Wird es bei Eurem Plan bleiben?«
    »Eigentlich schon. Aber natürlich nur, wenn Artal mir seine silberne Hand

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