Kryptum
überläßt und den Wandteppich bringt, den ihr, Rebecca und du, gewebt habt.«
»Habt Ihr denn keine Angst, daß Euch bei dem ganzen Durcheinander von Stunden, Tagen und Zeiten dort unten etwas zustoßen könnte?«
»Es gibt Dinge, die mir weitaus größere Sorgen bereiten. Doch selbst wenn das hier nicht gut ausgehen sollte, dann weißt du jetzt zumindest, warum alles so gekommen ist, und ihr könnt entsprechend handeln, Rafael und du. Jetzt müssen wir aber so tun, als ob dies ein Tag wie jeder andere wäre, falls einer der Soldaten uns durch die Luke beobachtet. Wir haben viel Zeit, bis Artal zurückkommt.«
»Dann erzählt, was nach Eurer Heimkehr geschah.«
»Aber mein Kind, was kann ich dir erzählen, das du nicht schon weißt? Seit ich zurück bin, kennst du die Geschichte besser als ich. Wie ich gestern schon sagte, ging ich in Palästina an Bord eines Schiffes, das mich nach Spanien bringen sollte. Diese Reise hast du als kleines Mädchen selbst schon einmal gemacht, erinnerst du dich? Diesmal war sie jedoch ganz anders, denn wir hatten kaum Wind, so daß die Überfahrt eine halbe Ewigkeit dauerte, viel zu lange für meine Sehnsucht, so schnell wie möglich nach Antigua zu kommen. In mir tobte die Verzweiflung. Die Vision, die ich im Haus des Traumes gehabt hatte, bereitete mir quälende Ungewißheit und ließ mir keine Ruhe; das Abbild deiner Mutter war so wirklich, so greifbar gewesen, als sie sich mit tiefer Traurigkeit von mir verabschiedete. Eine Vielzahl von Erinnerungen stürmte auf mich ein, und düstere Vorahnungen stiegen in mir auf in dem Maße, wie sich das Schiff der spanischen Küste |682| näherte und ich mir einen anderen Akzent und andere Gesten ausdachte, damit mich in Antigua niemand erkannte. Denn nach all dem, was ich auf meiner weiten Reise über das Labyrinth erfahren hatte, war ich mir nun der Bedeutung bewußt, die es für diejenigen haben konnte, die von der unersättlichen Gier nach Macht besessen waren. Als ich an der valencianischen Küste an Land ging, wechselte ich auch noch meine Kleidung und legte mir einmal mehr einen anderen Namen zu. Und da ich nicht vorsichtig genug sein konnte und mir deshalb jede Eile, die mich verraten konnte, auf meiner Heimreise verbot, gab ich meine letzten Dukaten für einen vertrauenswürdigen Kurier aus, der mir vorausreisen und euch die Nachricht von meiner Rückkehr überbringen sollte.«
»Diese Botschaft haben wir bekommen, Vater. Sie verlieh Mutter für einige Tage neuen Lebensmut. Als sie hörte, daß Ihr auf dem Weg hierher wart, verlangte sie nach ihrem Webstuhl und versuchte, den Wandteppich zu vollenden, den sie für Eure Rückkehr webte. Aber sie hatte ihre Kräfte überschätzt. Schweren Herzens mußte sie davon absehen. Und dann bat sie mich, ihr ein paar Zimtstangen zu kaufen.«
»Zimtstangen? Wozu das?« will Randa verwundert wissen.
»Das fragte ich mich auch. Und vor allem fragte ich mich, woher ich das Geld für etwas so Teures nehmen sollte. Ich lieh es mir schließlich, um ihr einen Gefallen zu tun und sie so vielleicht am Leben zu halten. Denn Mutter hätte überlebt, wenn Artal de Mendoza und seine Schergen uns in Ruhe gelassen hätten. Ohne die geringste Rücksicht auf ihren Gesundheitszustand zu nehmen, haben sie ihr mit ihren Verhören und der Beschlagnahmung unseres ganzen Hab und Guts aber so zugesetzt, daß sie sie geradezu in den Tod getrieben haben.«
»Verdammter Bastard!«
Randas heftige Reaktion läßt Ruth fürchten, daß er sich im Umgang mit dem Mann mit der silbernen Hand nicht wird beherrschen können, daß sein Haß stärker sein wird als die Voraussicht und Schläue, die für seinen Plan vonnöten sein werden. Sie setzt sich neben ihn und versucht ihn zu besänftigen.
|683| »Pst, Vater, beruhigt Euch, und sprecht leiser. Laßt Euch jetzt bitte nicht gehen. Wenn jemand kommt, wird er Eure Erregung bemerken, und gerade heute sollten wir das mehr denn je vermeiden. Erzählt weiter. Ich bitte Euch, tut es meiner Mutter zuliebe.«
»Du hast wie so üblich recht, mein Kind. Wo war ich also stehengeblieben? … Ach ja, meine Rückkehr nach Antigua. Ich hatte mich so sehr verändert, daß mich niemand erkannte. Unterwegs hatte ich läuten hören, daß die Stadt viel von ihrer einstigen Bedeutung verloren hatte und im Niedergang begriffen war. Aber ich hätte nie gedacht, daß es so schlimm um sie stand. An jeder Straßenecke sah ich Bettler, und als ich endlich zur Casa de la Estanca und dem
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