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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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angrenzenden Palast kam, wo ich dich und Rebecca vorzufinden hoffte, waren die Türen zugenagelt und die Gebäude umzäunt und alles so verfallen, daß ich schon glaubte, ich hätte mich in der Straße geirrt.
    Ein Mann, der in der Nachbarschaft wohnte, erzählte mir, die Häuser stünden schon lange leer, und es sei unter strengster Strafe verboten, sie zu betreten. Als ich nach dem Grund für dieses Verbot fragte, erklärte er, den kenne er nicht, aber ein paar Männer hätten einmal versucht, dort einzudringen, und sie seien alle dabei umgekommen, bis auf einen, der völlig verstört herausgerannt sei und von allerlei bedrohlichen Dingen erzählt habe. Und danach sei ein pestartiger Gestank aus der Casa de la Estanca gedrungen, weshalb man sie zugemauert habe, da ihr Wasser so nicht mehr zu gebrauchen war. Da fragte ich nach den vormaligen Bewohnern des Palasts, und nachdem er mir mitgeteilt hatte, daß Don Manuel Calderón tot war, wies er mir noch den Weg zu dem Haus, in dem Calderóns Frau, Doña Blanca, und ihr Sohn Rafael untergekommen waren. Dorthin machte ich mich auf. Als sich die Tür öffnete, erkannte ich Rafael kaum wieder. Wie groß und stark er inzwischen geworden war, ein richtiger Mann. Ihm mußte es mit mir wohl ebenso gegangen sein, denn er musterte mich argwöhnisch von oben bis unten, bis ein Lächeln sein Gesicht erhellte.
    |684| ›Ihr seid Raimundo, nicht wahr? Endlich! Nach so langer Zeit!‹ sagte er.
    ›Es tut mir sehr leid, Rafael, daß dein Vater gestorben ist; gerade erst habe ich davon erfahren. Du weißt, wie sehr ich ihn geschätzt habe. Ich hoffe, deiner Mutter geht es gut.‹
    ›Das tut es, Raimundo, vielen Dank. Aber um Gottes willen, kommt endlich herein.‹
    Einmal im Haus, konnte ich die Frage nicht länger zurückhalten, die mir auf der Seele brannte.
    ›Wo sind meine Frau und meine Tochter?‹
    ›Eure Tochter ist hier bei uns.‹
    ›Und meine Frau?‹
    Rafaels Schweigen ließ mein Herz vor Schreck stocken. Im selben Augenblick kamst du auf mich zugerannt, fielst mir um den Hals und brachst in Tränen aus. Da fürchtete ich das Schlimmste. Als du mir dann schluchzend erzähltest, wie Rebecca gestorben war, brach ich völlig zusammen. Ich hatte diesem schlecht geheilten Fieber, das sie sich in Tiberias geholt hatte, immer mißtraut.«
    »Glaubt mir, Vater«, erklärt Ruth, »sie hätte durchgehalten, wenn wir Nahrungsmittel, Arzneien und Ruhe gehabt hätten. Es waren die ständigen Belästigungen und der Ärger über Artal de Mendoza und seine Schergen, die ihr ein so schnelles Ende bereitet haben. Als er sah, daß Ihr nicht zurückkehrtet, begann er in der Casa de la Estanca und auf der Baustelle von Juanelos
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erneut Nachforschungen anzustellen.«
    »Immer dieser Schuft, wie ein Schatten …«
    »Außerdem erdrückte Rebecca die Einsamkeit, sie fühlte sich in dem ihr fremden Land sehr allein. Dazu kam Eure Abwesenheit. Und auch noch etwas anderes: Auf dem Sterbebett wiederholte sie im Fieberwahn immer wieder eine Reihe von Namen und Zahlen, die ich kaum verstehen konnte. Bis ich, als ich die Truhen nach Geld für die Zimtstangen durchsuchte, herausfand, was es zu bedeuten hatte.«
    »Du meinst die Litanei der Namen, die deine Mutter im Fieber stammelte?«
    |685| »Ja. Es waren unsere Schulden. Die Geldsummen, die sie aufgenommen hatte, damit wir überleben konnten, alle fein säuberlich auf einem Blatt Papier aufgeschrieben. Sie kannte sie auswendig, und in ihren Fieberanfällen stiegen sie ihr in den Kopf, bis sie keinen anderen Gedanken mehr zuließen. Und trotzdem brauchte sie unsere letzte Barschaft auf, um diesen Wandteppich für Euch zu weben, mit der besten Wolle, die sie dafür nur auftreiben konnte.«
    Entsetzt bedeckt Randa sein Gesicht mit den Händen.
    »Wieviel Einsamkeit, Kummer und schlaflose Nächte müssen Rebecca diese Schuldscheine eingebracht haben! Gerade sie, die in ihrer Jugend in Geld geschwommen ist! Warum hast du dann die teuren Zimtstangen gekauft, wenn ihr doch kein Geld hattet?«
    »Weil sie mich mit Tränen in den Augen darum bat. Sie sagte: ›Ihr sollt sie mir in den Mund legen. Ich möchte nicht, daß Raimundo, wenn er kommt und mich küßt, den Gestank von Leiden und Tod schmecken muß.‹«
    »O mein Gott!« stöhnt Randa.
    »Als sie dann starb, hatte man schon unsere ganzen Besitztümer versteigert, selbst unsere Bettwäsche und Hemden. Sogar den Webstuhl und den Wandteppich, an dem sie für Euch webte, mußten wir hergeben.

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