Kryptum
retten.«
»Na ja, wir haben gerade keinen anderen Kryptologen bei der Hand. Wie kommst du voran?«
»Ich bin es eben noch mal durchgegangen und hab’s, glaube ich. Ich kann es lesen.«
Rachel starrte ihn an. Wozu hatte sie sich dann gerade all die Dateien angeschaut, die auf der CD ihrer Mutter zu finden waren?
|670| »Lesen, sagst du?« fragte sie den Kryptologen. »Dann ist das also gar kein Labyrinth?«
»Doch, schon, aber eben nicht nur. Aber laß uns warten, bis Bealfeld kommt. Dann wirst du es sehen.«
Rachel zeigte auf den Bildschirm ihres Computers.
»Du hast dir die Dateien auf der CD doch auch angesehen. Warum, glaubst du, sagt meine Mutter uns nicht, wo sie in den Untergrund hinabsteigen will und was uns dort unten erwartet?«
»Vielleicht wußte sie es noch nicht, als sie dies geschrieben hat. Oder sie wollte nicht, daß wir ihr folgen. Zumindest nicht, bis wir alles herausgefunden hätten, um dort unten nicht den Tod zu finden.«
»Und? Wissen wir das jetzt?«
»Ich denke schon. Schließlich haben wir die ganze Geschichte rekonstruiert. Außerdem sind wir zu zweit. Denk an deine Mutter. Wir dürfen nicht mehr länger warten.«
»Ich glaube nicht, daß du dafür fit bist«, wandte Rachel ein.
»Natürlich bin ich das! Ich bin völlig in Ordnung. Etwas anderes ist es, ob Bealfeld uns läßt. Du kennst ihn ja.«
Und er wies mit dem Kopf zum Kommissar, der gerade mit seiner Kaffeetasse auf sie zukam und sich zu ihnen setzte. David legte nun eine Schreibmappe auf den Tisch, aus der er die Fotokopien aus Qasarra zog, die die Archäologin Rachel gegeben hatte. Er zeigte auf die Inschrift über dem Thron des Kalifen.
»Seht her. Das hier ist sehr leicht zu entziffern, es ist eine Kursive in klassischem Arabisch. Hört zu: ›Gott ist einer allein. Es gibt keinen Gott außer IHM. ER ist der Lebendige und Beständige. IHN überkommt weder Ermüdung noch Schlaf. IHM gehört alles, was im Himmel und auf der Erde ist. Wer von den himmlischen Wesen könnte – außer mit SEINER Erlaubnis – am Jüngsten Tag bei IHM Fürsprache einlegen? ER weiß, was vor und was hinter ihnen liegt. Sie aber wissen nichts davon – außer was ER will. SEIN Thron reicht weit über Himmel und Erde. Und es fällt IHM nicht schwer, sie vor Schaden zu bewahren. ER ist der Erhabene und Gewaltige.‹«
|671| »Was ist das für ein Text?« fragte Bealfeld.
»Ich habe die Stelle im Koran nachgeschlagen. Es sind Verse aus der zweiten Sure, die auch die Thron-Sure genannt wird. Es ist eine sehr bekannte Passage, die oft in Notsituationen rezitiert wird und auf Amuletten und Talismanen zu finden ist. So wie ich das sehe, haben sie der Sure noch etwas hinzugefügt, damit es insgesamt zwölf Verse sind. Ein Zusatz, der übersetzt ›Gott hat gesprochen‹ oder ›Das ist Gottes Wort‹ lautet. Jetzt werden wir das mit dem Labyrinth auf der anderen Fotokopie vergleichen, dem Mosaik unter dem Thron des Kalifen.«
»Willst du etwa behaupten, das hieße genau dasselbe?« wollte Rachel erstaunt wissen.
»So unglaublich das auch scheinen mag: Die Antwort lautet ja. Es ist derselbe Text, nur in eckiger Schrift. Ihr werdet es gleich sehen.«
David schlug wieder seine Schreibmappe auf, in der Rachel und Bealfeld mehrere Papierschnipsel entdeckten. Der Kryptologe hatte die einzelnen Verse in den beiden Schriftarten fein säuberlich ausgeschnitten und ordnete sie nun einander zu.
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|673| »Ohne den Kursivtext vor sich zu haben, ist es natürlich völlig unmöglich, dieses Labyrinth zu rekonstruieren, geschweige denn es zu entschlüsseln«, mußte David zugeben. »Nur ein sehr gut trainiertes Auge könnte das. Es handelt sich hier um die
al banna’i-
Variante der Kufi-Schrift. Daher kommt auch das spanische Wort
albañil,
der Maurer. Diese kufische Schrift der Maurer ist die eckigste, ›architektonischste‹ Schriftform des Arabischen und wird verwendet, um etwas mit Ziegeln auf Mauern ›schreiben‹ zu können. De facto ist die
al banna’i-
Variante eine Mischung aus der Kunst eines Kalligraphen und der eines Baumeisters.«
»Die Schrift und die Architektur, das Erbe Babels …«, warf Rachel ein.
»Stop! So langsam kapiere ich gar nichts mehr …«, protestierte Bealfeld. »Erklären Sie das bitte noch einmal genau, so daß auch ich das verstehe. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen Babel, dem Labyrinth, dem Gestammel, den mentalen Tunneln …?«
»Gut, ich versuch’s. Also, grob zusammengefaßt könnte man sagen, daß
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