Kryptum
Kanal, dessen Wasser von der Casa de la Estanca in den Fluß fließt.«
»Und wie gedenkt Ihr den Schlüssel nachzubauen?«
»Wenn mir Artal seine silberne Hand überläßt, werde ich getreu Juanelos Entwurf heute nacht daraus eine Art Dietrich anfertigen, mit dem ich das Schloß öffnen kann. Und dann werde ich durch den Geheimgang zum Schacht eilen und dort unten mit Hilfe deines Teppichs das Labyrinth durchqueren, den Schatz an mich nehmen und danach weiter zum Fluß laufen.«
»Denkt daran, daß wir auf der anderen Seite auf Euch warten, im Rohrdickicht des Barranco del Moro. Rafael hat schnelle Pferde besorgt. Er ist auch zu einem vertrauenswürdigen Schmied gegangen, damit ihre Hufeisen verkehrt herum angenagelt wurden, um so diejenigen in die Irre zu führen, die uns vielleicht verfolgen werden. Und ein Freund von uns ist die Poststationen abgeritten, damit man dort die besten Ersatzpferde für uns bereithält. Und …«
|697| Vater und Tochter reden noch lange weiter, bis sie schließlich doch die drückende Ungewißheit überkommt und sie stumm nur noch darauf warten, daß Artal zurückkehrt und hoffentlich den Wandteppich mitbringt. Die Zeit wird ihnen unendlich lang. Ab und zu blicken sie sich besorgt an, ohne zu wissen, ob Randa die Flucht wirklich gelingen wird und sie sich noch einmal wiedersehen werden. Oder sie lassen den Blick ins Nichts schweifen, um nicht die Angst in den Augen des anderen sehen zu müssen. Bis sich zum letzten Mal Schritte nähern und nach langem Stochern im Schloß schließlich die Tür aufgeht. Auf der Schwelle erscheint Artal mit der Wache. Aber er hat den Wandteppich nicht dabei. Randa und Ruth drücken sich unauffällig die Hände. Sie halten den Atem an.
In diesem Moment treten zwei Soldaten zum obersten Spion und flüstern ihm etwas ins Ohr. Das Getuschel geht noch eine ganze Weile weiter, während Vater und Tochter sich bange fragen, was oben auf der Treppe vor sich geht. Der oberste Spion erteilt einem Soldaten einen Befehl, den Randa und Ruth nicht verstehen können.
Schon kurz darauf kommt der Soldat zurück. Und in den Händen hat er den von Rebecca und Ruth gewebten Teppich. Auf Artals Wink hin steigt er die Treppe hinunter und legt ihn auf die Steinbank, packt dann die junge Frau beim Arm, damit sie ihn zur Tür begleitet. Während Ruth die Treppe hinaufsteigt, wirft sie immer wieder einen Blick zurück zu ihrem Vater, der sie nicht aus den Augen läßt. Als sie oben angekommen ist, sieht Artal sie kurz an. In der Hand eine Laterne, steigt er nun selbst bedachtsam die Stufen hinab und geht auf den Gefangenen zu, der unbeweglich neben der Steinbank steht, neben der Artal nun die Laterne abstellt. Und dann greift er in die Gürteltasche und zieht aus ihr Randas Goldschmiedezangen hervor. Er legt sie auf den Teppich.
Schließlich schlägt der oberste Spion seinen Umhang zurück, damit er die linke Hand zur rechten führen und langsam den Handschuh aus Hundeleder ausziehen kann. Es kostet ihn |698| etliche Mühe, die falsche Hand vom geröteten Armstumpf zu lösen. Endlich hat er es geschafft, und er atmet auf. Er macht einen Schritt auf Randa zu und streckt ihm seine silberne Hand entgegen. Und übergibt ihm damit den Schlüssel zu seiner Rettung.
|699| 12/XII Die nicht eingeschlagenen Wege
Bei Einbruch der Dämmerung hatten Rachel Toledano und David Calderón Posten bezogen. Keine Menschenseele hatte seither den Hinterhof betreten. Der verfallende Stadtpalast in der Calle Roso de Luna lag in tiefer Stille, die nur ab und zu vom vereinzelten, entfernten Bellen einiger Hunde durchbrochen wurde, die wohl spürten, daß wieder ein Gewitter in der Luft lag.
Die mit einem Pyramidendach gedeckte Casa de la Estanca stand mitten im Hof. Während Rachel den einzigen Zugang zum Hof im Auge behielt, umrundete David den alten Wasserturm und leuchtete mit seiner Taschenlampe die Mauern ab auf der Suche nach den Ziegelverzierungen, die den Eingang zu den unterirdischen Gängen kennzeichneten. Er fand sie schließlich unter einem Dachvorsprung. Die jahrhundertelange Feuchtigkeit hatte sie schwer beschädigt, so daß sie selbst von nahem nur schwer zu erkennen waren. Zumal sie wie einfache, belanglose Schmuckborten wirkten. Die verborgene Inschrift konnte also nur derjenige erkennen, der von ihr wußte.
Die Tür war mit einem uralten Vorhängeschloß verriegelt. Er mußte jedoch nur zweimal kräftig dagegentreten, bis sie aufsprang. Im Inneren führten ausgetretene
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