Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
Vom Netzwerk:
jedenfalls zufrieden. Dann wollte er noch ergründen, ob ich auch die Bücher Mose kannte, so wie sie die Juden studierten. Als ich zur Antwort gab, daß ich auf diesem Gebiet nur lückenhafte Kenntnisse habe, nickte Don José Toledano nachdenklich, kratzte sich den Bart mit einer seiner sehnigen Hände und murmelte dann ein wenig geheimnisvoll:
    ›Darum werden wir uns kümmern müssen.‹
    Die Art, wie er das sagte, beunruhigte mich. Gleichzeitig fiel mir jedoch auf, daß dieser Mann seine kräftigen, gepflegten Daumennägel auf sehr seltsame Weise geschnitten hatte: anstatt wie gewöhnlich abgerundet zu sein, hatten sie zwei Einkerbungen. Doch ich maß diesen Dingen damals keine übermäßige Bedeutung bei; vorerst hatte ich meine Haut gerettet.
    Ich wage zu behaupten, daß die Toledanos mich fortan als Teil der Familie ansahen, wies man mir doch eine Kammer zu, die getrennt von denen der übrigen Dienstboten war.
    Tatsächlich stellte ich schnell fest, daß sie eher einen Druckereigehilfen als einen Schreiber benötigten. Ein sehr verantwortungsvoller Posten. Don José hatte kurz zuvor eine Druckereiwerkstatt eingerichtet, die erste im Osmanischen Reich. Er hatte seinen ganzen Einfluß in die Waagschale geworfen, um vom Sultan dafür die Genehmigung zu erhalten. Im Osmanischen Reich ist der Buchdruck eigentlich verboten, nur bei ihm machten sie eine Ausnahme. Das gibt dir eine Vorstellung von Toledanos Ansehen.«
    »Der Buchdruck ist dort verboten?« unterbricht ihn Ruth. »Und warum?«
    |113| »Für die Türken dienen Bücher vornehmlich dazu, den Glauben zu verbreiten, und gedruckte Lettern entweihen ihrer Auffassung nach das Wort des Propheten. Insgeheim glaube ich jedoch, daß der wirkliche Grund für dieses Verbot darin liegt, daß die osmanischen Geistlichen von der Abschrift und dem Verkauf ihrer Schriften leben. Ein Koran kostet immerhin bis zu acht Dukaten. Jedenfalls gestattete man Toledano zu drucken, allerdings unter der Bedingung, daß er weder arabische noch türkische Texte setzte.
    Die größte Messe für den Buchhandel findet in Leipzig statt, und dort wollte Toledano auch seine Bücher verkaufen. Da es hieß, die Deutschen seien die besten Drucker, hatte er drei Gesellen aus Mainz angestellt, denen ein gewisser Meltges Rinckauwer vorstand. Bevor diese wieder nach Deutschland zurückkehrten, sollten sie jemanden vor Ort ihr Handwerk lehren, und ich schien Don José dafür geeignet, da ich mehrere Sprachen beherrschte und handwerklich sehr geschickt war.
    Vieles von dem, was ich über den Gebrauch der Druckerpressen und beweglichen Bleilettern weiß, habe ich von Meltges Rinckauwer gelernt. Der deutsche Drucker und ich waren uns sehr ähnlich, sogar äußerlich, und von Anfang an kamen wir gut miteinander aus. Ich begleitete ihn jeden Sonntag in die Messe, denn er war ein frommer Mann. Die Christen dürfen in Konstantinopel zwar weder Glocken läuten lassen noch eine Orgel aufstellen, an den Festtagen erlaubt man ihnen aber, die Trompeten erschallen zu lassen, und während ihrer Gottesdienste werden sie auch nicht gestört. Die Türken postieren sogar zwei mit dicken Knüppeln bewaffnete Janitscharen vor der Kirchentür, und wenn ein Moslem hineinwill, muß er sie um Erlaubnis bitten.
    Um den Anschein zu wahren, wartete ich immer
vor
der Kirche auf den Drucker, denn mit hineingehen konnte ich ja nicht, nachdem ich Laguna und Toledano vorgeschwindelt hatte, ich sei Jude. Doch von draußen konnte ich immerhin den Lobgesängen lauschen und mich voller Wehmut meinen Erinnerungen an das Kloster meines Onkels in Granada hingeben |114| . Anschließend kehrten Rinckauwer und ich, die wir als gute Christen vor dem Gottesdienst noch nichts gegessen hatten, in der Taverne eines Griechen aus Chios ein, wo wir einen gewürzten Käse verspeisten, den er mit einem sehr schmackhaften Brot mit Sesamkruste auftischte. Dazu tranken wir für gewöhnlich einen Rotwein, einen prickelnden, süffigen Landwein, der fröhlich machte, und ab und an auch einen anderen, wesentlich herberen, den der Tavernenwirt sich von seiner Heimatinsel schicken ließ und der im Hals etwas kratzte. Zum Abschluß bestellten wir dann immer noch ein Sorbet. Das ist ein erfrischender Trunk, der bei den Türken, die normalerweise keinen Wein trinken, sehr beliebt ist. Sie nehmen dazu Rosinen oder getrocknete Pflaumen, aber auch Sauerkirschen oder Aprikosen, zermahlen sie, weichen sie in einem Holzgefäß mit Zucker oder Honig ein und lassen das

Weitere Kostenlose Bücher