Kryptum
hören, das die Aufnahme übersteuerte, als könne das Band diesen ohrenbetäubenden Klang nicht aufzeichnen.
Davids Reaktion war so schnell und unerwartet, daß der Kommissar ihn nur sprachlos anstarren konnte. Er eilte zum Schreibtisch, riß die Schublade auf, zog den blauen Aktenordner mit der Aufschrift
Notizen für mein Buch ›
VON BABEL
ZUM TEMPEL
. Sprache, Religion, Mythos und Symbol zu Beginn
des Bewußtseins‹
heraus, packte seine Papiere, Saras Brief, die Pergamentkeile inklusive des Keils der Stiftung, das Foto und seinen Laptop zusammen und steckte alles in eine große Tasche. Dann schnappte er sich Bealfelds Aktentasche, zog die Kassette aus dem Videorekorder und schob Bealfeld zur Tür.
»Los, gehen wir! Schnell!«
»Aber was …?« fragte der Kommissar verdutzt.
»Nachher, jetzt haben wir keine Zeit für Erklärungen …«
Sie traten auf den Flur. Bealfeld wandte sich in Richtung Ausgang.
»Nicht da lang!« David packte ihn am Arm. »Hier geht’s raus.«
Und er zerrte ihn durch die Tür eines Notausgangs, der direkt hinunter zum See führte. Während er mit großen Schritten über den Holzsteg zum Wasser hastete, fragte er den Kommissar:
»Wie verstehen Sie sich aufs Rudern, Mr. Bealfeld?«
Ohne seine Antwort abzuwarten, zog David ihn zu einem kleinen Boot, befahl ihm einzusteigen und drückte ihm ein Paddel in die Hände. Dann band er das Tau los, mit dem es am Steg festgebunden war, und stieß sie mit seinem Paddel vom Ufer ab.
»Hören Sie … meinen Sie nicht, Sie … Sie müßten mir etwas … erklären?« japste der Kommissar.
»Nachher. Wo steht Ihr Auto?«
|105| »Vorne auf dem Parkplatz, in der ersten Reihe.«
»Schnell! Carter wird schon nach uns suchen«, drängte David und mußte dann unwillkürlich grinsen. »Dieses Paddelboot gehört übrigens ihm.«
Kurz darauf hörten sie vom Steg her die aufgebrachten Schreie des Geschäftsführers. Als Carter jedoch sah, daß sie überhaupt nicht auf ihn reagierten und an der Brücke zum Parkplatz bereits aus dem Boot stiegen, zog er sein Handy aus der Tasche und wählte mit drohender Geste eine Nummer.
|106| II Rebecca
Raimundo Randa setzt sich auf der Steinbank auf, als er Schritte hört, die sich seiner Zelle nähern. Kurz darauf dreht sich der Schlüssel schwerfällig im Schloß und die eisernen Riegel werden zurückgeschoben. Dann geht die Tür auf, und auf der Schwelle erscheint der Mann mit der Maske.
Wo ist meine Tochter? fragt sich der Gefangene beklommen.
Der Vermummte rührt sich indes nicht von der Stelle, regungslos steht er da. Erst als er hinter sich Stimmen vernimmt, blickt er sich um und tritt zur Seite. Aufgrund seiner vom Alter und der Dunkelheit geschwächten Augen gelingt es Randa jedoch nicht, unter den schemenhaften Gestalten seine Tochter auszumachen. Dennoch hält er angespannt nach ihr Ausschau.
Erleichtert atmet er auf, als er sie endlich hereinkommen sieht. Die junge Frau steigt die Stufen hinab und durchquert das Verlies mit leichten Schritten. Von der Luke hoch oben in der Wölbung fällt ein Sonnenstrahl auf ihr blondes Haar und erhellt für einige Augenblicke funkelnd den Raum.
»Wie geht es Euch, Vater?« begrüßt sie ihn, während sich oben die Tür mit einem lauten Quietschen schließt.
|107| »Meine Glieder sind ganz steif. Diese Steinbank ist hart und kalt. Trotzdem habe ich seit langer Zeit zum ersten Mal wieder die ganze Nacht durchgeschlafen.«
»Seht Ihr? Wie ich es Euch gestern gesagt habe: das Reden tut Euch gut. Ihr dürft nicht zulassen, daß die Erinnerungen in Eurem Innern verrotten. Und auch nicht, daß die Leute sich weiterhin das Maul über Euch zerreißen.«
»Was interessieren mich noch die Leute und ihr Geschwätz?«
»Verzweiflung ist das schönste Geschenk, das Ihr Euren Feinden machen könnt. Vor allem dem Kerkermeister, der Euch hier gefangenhält«, schilt ihn die junge Frau. Mit diesen Worten tritt sie zu ihm, streicht ihm über das glatte Haar und sieht ihm gerade in die Augen. »Es ist der Mann mit der silbernen Hand.«
»Was sagst du da??«
Wie von einer Tarantel gestochen ist Randa aufgesprungen und hat die Hände seiner Tochter gepackt.
»Derselbe, der Eure Eltern und Geschwister gefoltert und umgebracht hat«, betont die junge Frau, als sie sieht, wie die Neuigkeit ihren Vater aufwühlt.
»Bist du dir da ganz sicher?«
Der Gefangene ist jetzt noch näher an Ruth herangetreten und hält ihre Handgelenke so fest umklammert, wie sie es sich am Vortag nicht
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