Kryptum
er stieg gerade aus einem der Wagen. Ein Blick reichte, um über ihn Bescheid zu wissen. Er war etwas älter als ich, groß und hager und hatte Sommersprossen, einen dünn wachsenden Bart und strohgelbes Haar. Der Bogen seiner Augenbrauen verlieh ihm einen verschlagenen Gesichtsausdruck, die Augen waren stechend und blutunterlaufen, wenn auch von den halb geschlossenen Lidern verdeckt. Die Nase saß spitz und bucklig über den schmalen Lippen, die sich zu einem selbstgefälligen Lächeln verzogen hatten.
Später erfuhr ich, woher sein Hochmut kam. Noah Askenazi glaubte sich zu Großem berufen, da er – wie Mose oder König David – beschnitten zur Welt gekommen war. Er verwaltete José Toledanos gesamtes Vermögen, und das war nicht gerade wenig. Er reiste nach Venedig, Lyon, Antwerpen und Amsterdam und investierte dort je nach Stand der Preise in |117| die sichersten Wertpapiere, mal in Gewürze, dann wieder in Seide oder auch in Diamanten. Das verlieh ihm große Macht, denn er konnte nicht nur frei über Don Josés Kapital verfügen, sondern auch über das einer ganzen Handelsgesellschaft. Dafür stand ihm jeweils der zehnte Teil der erwirtschafteten Erträge zu, so daß er mit seinen Provisionen schließlich mehr als jeder andere verdiente, zumal er die besten Wechsel für sich reservierte. In seiner Rolle als Mittelsmann war er stets bemüht, mit allen gut auszukommen. Er arbeitete für die Türken ebenso wie für die Spanier, Venezianer, Franzosen, Deutschen oder Flamen. Doch im Grunde arbeitete er vor allem für sich selbst.
Nur wenige wagten es, sich mit ihm anzulegen, und seine Drohungen waren durchaus ernst zu nehmen. Sein weit verzweigtes Netz von Handelsagenten hielt ihn über alles, was in Europa geschah, auf dem laufenden. Er wußte immer vor allen anderen, was der Papst machte und wo sich der spanische König aufhielt, welchen Krieg Frankreich gerade anzettelte und welche Geschäfte England einfädelte. Und auch, wer bei irgendeinem Scharmützel gewonnen hatte oder wem welches Unglück widerfahren war.
An jenem besagten Tag kam er aus Italien zurück. Er hatte einen Uhrmachermeister aus Cremona mitgebracht, mitsamt seinen Gesellen, damit diese eine jener Vorrichtungen zum Messen der Zeit konstruierten. Dem alten Toledano behagte die Idee nicht sonderlich, schnitt diese Erfindung seiner Meinung nach doch die Zeit, ja das ganze Leben in Scheiben, so wie die Christen ihre Bratwürste. Zudem würden die Türken den Gebrauch von Uhren sowieso nicht gestatten, ebensowenig wie den von Glocken, da der Muezzin dadurch an Autorität verlieren würde, dessen Gebetsruf die Moslems fünfmal am Tag folgen.
Aber für Askenazi waren Toledanos Einwände wohl kein Hindernis, sondern eher ein Ansporn. Wenn es ihm gelänge, die Erlaubnis des Sultans für seine Uhr zu erwirken, würde das seine Macht bekunden, insbesondere Fartax gegenüber, der |118| sein erbitterter Feind war. So hatte er es bereits mit der Druckerei gehalten, die ebenfalls seine Idee gewesen war und ihm große Anerkennung bei Konstantinopels Juden eingebracht hatte, die darin einen weiteren Beweis für ihren Einfluß und ihre Tatkraft sahen.
Noah Askenazi hatte alles genau durchdacht. Er war kein Mann der raschen Entschlüsse; er tat keinen Schritt, bevor er nicht gründlich das Für und Wider gegeneinander abgewogen hatte. Damals begann sich bereits abzuzeichnen, daß er sehr ehrgeizige Pläne hegte und all dies nichts anderes als Steine in ein und demselben Spiel waren. Tatsächlich begann man schon bald mit der Konstruktion der Uhr, die an einem Turm in der Nähe unseres Hauses angebracht werden sollte. Besser gesagt, in der Nähe von Don Josés Haus, in dem ich wohnte.
Es gefiel Askenazi ganz und gar nicht, daß ich die Druckerei leiten sollte. Mehrmals versuchte Rinckauwer, ihm die Beschaffenheit und Bedeutung meiner Arbeit zu erklären, doch seine Bemühungen waren vergeblich. Vergeblich bestand auch José Toledano darauf, daß ich bliebe, aus Gründen, die er seinem Verwalter nicht zu erklären brauche und die mit meiner entfernten Verwandtschaft mit seiner Familie zu tun hätten. Alles war vergeblich, der Verwalter weigerte sich hartnäckig. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund schien meine Gegenwart in der Druckerei Askenazis Pläne zu durchkreuzen. Er meinte, es werde sich gewiß eine andere Beschäftigung für mich beim Bau der Uhr finden … Bis Rebecca eingriff. Ich war dabei, so daß ich ihre Worte wohl hörte.
›Raimundo Randa
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