Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
Vom Netzwerk:
einmal hätte träumen lassen.
    »Vater, Ihr tut mir weh«, beschwert sie sich.
    »Verzeih mir.« Randa läßt sich wieder auf die Steinbank fallen.
    »Ich habe es mit meinen eigenen Augen gesehen, Vater. Als sein Handschuh verrutscht ist. An der rechten Hand hat er fünf Finger aus Metall, mit denen er sich behilft, wenn er den Schlüssel im Schloß herumdreht.«
    »Ein Handschuh aus Hundeleder, dem feinsten und robustesten, das es gibt. Dieser Mensch lag mir ein Leben lang wie ein Alp auf der Brust. Er beobachtete jeden einzelnen meiner Schritte, folgte mir wie ein Schatten. Bis zum Schluß …«
    »Ihr dürft nicht derart verzagen, sonst gebt Ihr ihm recht. |108| Fahrt mit Eurer Geschichte fort. Ich muß verstehen, was hier gerade vor sich geht. Und Ihr ebenso. Jedenfalls wißt Ihr jetzt, wer Euer Kerkermeister ist. Vielleicht können wir ja gemeinsam einen Plan aushecken, um Euch hier herauszuholen.«
    »Dieser Kerl muß etwas im Schilde führen, sonst würde er dich nicht zu mir lassen.«
    »Was spielt es denn jetzt für eine Rolle, was er damit beabsichtigt!«
    »Er könnte uns belauschen.«
    »Das halte ich für ausgeschlossen, daß irgendwer uns durch diese Mauern zu bespitzeln vermag.«
    Randa steht dennoch auf, tastet die Wände sorgfältig ab, untersucht den Boden, blickt suchend zur Decke hinauf … Dann kehrt er zu seiner Tochter zurück und fragt sie mit gesenkter Stimme:
    »Hast du alles aufgeschrieben, was ich dir gestern erzählt habe?«
    »Punkt für Punkt.«
    »Und hast du die Niederschrift auch an einem sicheren Ort verwahrt?«
    »Seid unbesorgt. Niemand wird sie finden. Jetzt würde ich aber gerne erfahren, wie Ihr meine Mutter kennengelernt habt. Ihr wart ihr Dienstbote oder vielmehr Sklave, nicht wahr?«
    »Nur eine Zeitlang und durch mein eigenes Verschulden. Aber im Haus deiner Mutter wurde ich wie ein Familienmitglied behandelt. Oder zumindest fast. Habe ich dir gestern erzählt, wie ich dorthin kam?« fragt Randa, während er sich neben seine Tochter setzt.
    »Ihr habt mir von Eurer Flucht aus dem Palast des türkischen Admirals Euldj Ali erzählt. Nach dem Verrat durch diesen Griechen, der versprach, Euch einen Platz auf einem Schiff zu verschaffen, das jedoch nicht kam, hattet Ihr Euch im Hafen von Konstantinopel zwischen Warenballen versteckt. Und die Hafenarbeiter waren kurz davor, Euch zu entdecken.«
    »Ah, ja, ich erinnere mich … Ja, das war eine üble Sache … |109| Die Ballen wurden immer weniger, hinter denen ich, starr vor Schreck, kauerte. Wenn mich einer dort fand, würde man mich unverzüglich vor Fartax schleifen, der mich auf der Stelle pfählen lassen würde. Ich wurde in meinem Versteck immer unruhiger, als ich plötzlich eine vertraute Stimme vernahm. Ich spähte über die Säcke und sah einen betagten Herrn mit einem roten Barett, das ihn als Medikus auswies. Es war Laguna, jener sephardische Jude, der mir immer sehr gewogen gewesen war.«
    »Grindschädels Arzt?«
    »Genau der. Er ging vor den anderen her und inspizierte einen Ballen nach dem anderen, um seine eigenen auszusondern. Mit letzter Kraft schob ich mich zwischen die Packen, an denen der Arzt gleich vorbeigehen würde. Ich wartete, bis er ganz nahe war, und rief ihn dann leise, wobei ich ihm mit Handzeichen bedeutete, keinen Ton verlauten zu lassen und sich unauffällig zu mir herabzubeugen. Ich bemerkte die Verwirrung und die Überraschung in seinen Augen, aber da er mir wohlgesonnen war, befahl er seinen Dienern, mit den Wachen zum Fuhrwerk zu gehen, das sie für den Transport seiner Güter mitgebracht hatten.
    Dann bückte er sich, als inspiziere er die Ware, und blickte mich fragend an. Da erzählte ich ihm knapp von meinem Fluchtversuch und Fartax’ Drohung. Entsetzt betrachtete er mich von oben bis unten; ihm schienen die Worte zu fehlen. Ich fürchtete das Schlimmste. Er wußte vom Ansehen, das ich im Haus des Korsaren genoß, und traute meinem Bericht wohl nicht ganz. Vielleicht sah er als Jude aber auch keine Veranlassung, wegen eines christlichen Sklaven in Schwierigkeiten zu geraten.
    Meine Unruhe wuchs in dem Maße, wie ich das Mißtrauen in den Augen meines Gegenübers größer werden sah. Sollte er sich meiner erbarmen, so war er meine letzte Rettung; tat er dies nicht, war ich verloren. Er müßte nur nach der Wache rufen und mein Schicksal wäre besiegelt. Um sein Herz zu erweichen, fiel mir deshalb nichts Besseres ein, als ihm zu versichern |110| , daß ich in Wahrheit ebenfalls Jude sei.

Weitere Kostenlose Bücher