Kryptum
Der gute Mann war einen Augenblick lang völlig verblüfft, aber dann erinnerte er sich an meine Hebräischkenntnisse und bat mich um eine Erklärung, worauf ich ihm erzählte, daß meine Mutter von den Toledanos in Antigua abstamme.«
»Und, stimmt das denn?« unterbricht ihn Ruth.
»Das ja. Wie du weißt, hieß meine Mutter Clara Toledano. Es ist nur so, daß dieser Nachname eine sehr lange Geschichte hat. Und in Antigua tragen ihn altadlige christliche Familien ebenso wie Juden und Morisken, die ihn bei der Taufe annahmen. Jedenfalls änderte Laguna seine Einstellung, kaum daß ich die Familie Toledano und Antigua erwähnt hatte. Er bedeutete mir, mich auf einen Teppich zu legen, in den er mich einrollte. Dann rief er zwei seiner Diener und befahl ihnen, den Teppich vorsichtig zu seinem Karren zu tragen und aufzuladen. Er selbst stützte ihn in der Mitte, damit er sich nicht entrollte und ich entdeckt würde. So wurde ich gerettet. Zumindest für den Moment.
Laguna gewährte mir Zuflucht in seinem Haus, wenn er mich auch wissen ließ, dies sei nur für eine Nacht. Aus der einen wurden schließlich zwei. Aber auch schon mit der einen wäre mir geholfen gewesen, denn ich schlotterte vor Kälte und war ziemlich geschwächt. Dank einem Eintopf aus Kichererbsen und Fenchel kam ich jedoch schnell wieder zu Kräften, und dazu gab er mir noch ein paar rohe Knoblauchzehen und einen Zinnbecher voll Mastika, was die beste Stärkung für den Magen ist.«
»Was ist
Mastika
?« fragt Ruth neugierig dazwischen.
»Das hat wenig Bedeutung für diese Geschichte, aber sei’s drum:Mastika ist ein Branntwein aus Anissamen und Mastix.«
»Mastix, sagst du?«
»Ja, das ist das Harz des Mastixstrauchs. Die Türken kauen es auch, um ihre Zähne zu bleichen und den schlechten Atem zu vertreiben. Aber laß mich jetzt weitererzählen, wir sollten nicht vom Hölzchen aufs Stöckchen kommen und uns in Einzelheiten verlieren, sonst werden wir nie fertig.
|111| Mit diesem Mahl stillte ich, wie gesagt, meinen Hunger. In der dritten Nacht schaffte mich Laguna dann unter großen Vorsichtsmaßnahmen aus dem Haus und vertraute mich einem Maultiertreiber an, der mich über die Hauptstraße – nicht ohne einige Schreckmomente, denn sie ist sehr belebt – in ein am Stadtrand von Konstantinopel gelegenes Viertel brachte und beim Haus eines Glaubensbruders absetzte, der die Dienste eines Schreibers benötigte.
In welche Verlegenheit ich da geraten war, begann mir klarzuwerden, als ich erfuhr, daß jener Glaubensbruder José Toledano hieß. Und meine Bestürzung wuchs noch, da ich hörte, daß er ebenso wie Laguna Arzt war, noch dazu einer der berühmtesten, auch wenn er nicht mehr viel praktizieren mußte, denn er war sehr vermögend. Er behandelte nur noch die wichtigsten Persönlichkeiten, insbesondere den Sultan, von dem er kurz vor meiner Ankunft gerade zurückgekommen war.
Später erfuhr ich, daß der Großtürke noch etliche andere Leibärzte hatte. Doch nur Don José vermochte es, sein Asthma in den Griff zu bekommen. Und der Sultan, der keiner Menschenseele traute und sich Dutzende von Vorkostern hielt, um zu vermeiden, daß er vergiftet wurde, nahm nur von ihm Arzneien an, ohne daß Toledano sie zuvor vor seinen Augen schlucken mußte. Was beweist, wie groß die Wertschätzung und das Vertrauen waren, die der Sultan ihm entgegenbrachte.
Kaum hatte man Don José von meiner Ankunft in seinem Haus in Kenntnis gesetzt, wollte er mich auch schon sehen, um aus erster Hand zu erfahren, was Laguna ihm bereits angedeutet hatte. Auf den Bericht von meinem Unglück zeigte er indes keinerlei Reaktion. Er war müde und außerdem ein wohlerzogener Mensch, der gewöhnt war, seine Gefühle im Zaum zu halten. Doch als ich den Nachnamen meiner Mutter und ihre Herkunft erwähnte, bemerkte ich sehr wohl seine Rührung, das leichte Beben seines weißen Barts und das feuchte Glänzen seiner tiefliegenden Augen. Er stellte mir einige Fragen, und ich gab ihm, so gut ich konnte, Auskunft über |112| meine Person. Beiläufig erwähnte er dabei neben anderen Palästen der Stadt die Casa de la Estanca, die ich ihm daraufhin in allen Einzelheiten beschrieb, jedoch ohne ihm zu eröffnen, daß ich dort geboren worden war. Damals machte ich mir keine großen Gedanken über all diese Fragen, erst viel später wurde mir bewußt, daß sie entscheidend waren für die Aufnahme, die ich in seinem Haus und in Konstantinopels sephardischer Kolonie fand.
Don José schien
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