Kryptum
seiner Herzensdame vorbei.
Vom Boden hob er drei Steinchen auf
und warf sie gegen ihr Fenster.
›Meine Dame antwortet nicht,
sie hat wohl ihre Meinung geändert.‹
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›Nein, nein, León,
ich stehe zu meinemWort.‹
Wie eine tapfere Löwin
lief sie die Treppen zu ihm hinab.
Und am nächstenTag frühmorgens
fand die prächtige Hochzeit statt.
Mein Gefühl sagte mir, daß sie sich dieses glückliche Ende ausgedacht hatte, so daß es um mich längst geschehen war, als sie zu singen aufhörte. Ihre Stimme war mir durch und durch gegangen und hatte meine Gefühle in einen solchen Aufruhr gebracht, daß er nicht größer sein konnte, wenn sich ein Sperber in einem Taubenschlag verirrte. Und mein Herz entbrannte in Liebe für sie.
Dann war die rätselhafte Zusammenkunft vorüber. Die zehn Geschworenen reisten ebenso heimlich wieder ab, wie sie gekommen waren, und im Haus kehrte Ruhe ein. Bald ging alles wieder seinen gewohnten Gang. Für alle außer für Rebecca und mich. Ich wußte nun, daß auch sie sich vor Sehnsucht nach mir verzehrte. Uns zu sehen, war tagsüber ein unmögliches Unterfangen, war sie doch nie allein. Es war keine einfache Aufgabe. Ihr Alkoven lag im oberen Stockwerk, gegenüber dem ihrer Eltern, meine Kammer hingegen im unteren Stockwerk, genau unter Rebeccas. Mehr als eine Nacht hörte ich, wie sie sich in ihrem Bett von einer Seite auf die andere wälzte und dabei derart seufzte, daß außer allem Zweifel stand, daß sie mit mindestens ebensoviel Liebesglut an mich dachte wie ich an sie.
Ich könnte nur schwerlich sagen, ob sie im wachen Zustand oder im Schlaf seufzte, denn in jener Zeit entdeckte ich, daß ich so lebendig von ihr träumen konnte, daß ich den Traum kaum von der Realität zu unterscheiden vermochte. Und Rebecca erging es ebenso, so daß unsere Begegnungen im Traum einer Vereinigung unserer Seelen gleichkam. Damals schrieb ich dies noch der Tatsache zu, daß wir unter demselben Dach schliefen und meine Schlafstatt genau unter der ihren stand. |125| Doch später, wenn ich wieder einmal von einer meiner Reisen zurückkehrte, konnte ich feststellen, daß sie jedesmal, wenn ich von ihr, sie auch von mir geträumt hatte. Auf diesem Wege standen wir immer miteinander in Verbindung. Erst jetzt, nach allem, was ich erlebt habe, glaube ich dieses Rätsel ergründen zu können …
Rebecca hatte die Angewohnheit, sich auf eine Bank vor die Tür zu setzen, um dort ihre Katze zu streicheln. Oft bürstete sie ihr dann das zerzauste Fell und schmuste mit ihr, wobei sie dem Tier Koseworte zuflüsterte. Eines schönen Tages, ich befand mich gerade auf dem Weg in die Druckerei, war ihr Geschmuse mit dem Kätzchen jedoch so nachdrücklich und die Blicke, die sie mir zuwarf, waren so bedeutungsschwanger, daß ich wußte, sie waren eigentlich an mich gerichtet. So viel Entschlossenheit und Leidenschaft sprach aus ihnen, daß ich beschloß, in der Nacht endlich zur Tat zu schreiten.
Um bis zu ihr vorzudringen, mußte ich die Treppe hinaufsteigen und mich dann am Schlafgemach von Don José und seiner Frau vorbeischleichen, jener Matrone mit dem eindrucksvollen Damenbart, der einem ganzen Regiment von Janitscharen Respekt einflößen würde. In der ersten Nacht kam ich jedoch nicht über die dritte Stufe hinaus. Die verflixte Treppe knarrte derart, daß ich das ganze Haus, ja selbst die Seelen im Fegefeuer damit aufgeweckt hätte. Am nächsten Tag untersuchte ich die Treppe deshalb sehr genau und stellte fest, daß das, was ich für ein Knarren gehalten hatte, ein ausgefeiltes Alarmsystem war: Unter jede Stufe hatte man eine Metallkrampe verlegt, die unter dem Gewicht des darauftretenden Fußes gegen eine kupferne, in die Seitenwand der Treppe eingelassene Falz stieß. Sie verursachten dieses Geräusch, das die Hausherren aus dem Schlaf aufschrecken würde, sollte sich jemand die Treppe hinaufschleichen wollen.
Ich hatte die Dienstboten munkeln hören, daß die Toledanos irgendwo im Haus ein großes Vermögen an Goldmünzen versteckt hielten. Deshalb hatten sie wohl diese Vorsichtsmaßnahme getroffen. Doch ich irrte mich gründlich. Bestimmte |126| Dinge, die ich im nachhinein erfahren sollte, würden an den Tag bringen, daß sie etwas weitaus Wertvolleres hüteten. Abgesehen von Rebecca natürlich.
Begierig, zu ihr zu gelangen, grübelte ich lange über das Alarmsystem der Treppe. Aber ich fand keine Lösung, wie ich dieses Hindernis überwinden konnte.
Da vernahm ich eines Morgens
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