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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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einem Fürsten machen kann. Ein Chirurg, der sein Handwerk versteht, ist deshalb sehr gefragt. Don José hatte es geschafft, daß bei ihm sechs von zehn Entmannten überlebten; er belieferte die Harems des halben Orients mit seinen Eunuchen. Diese Einnahmen bildeten den Grundstock für sein Vermögen, welches sich durch angemessene Geldanlagen noch um ein vielfaches vergrößert hatte. Bald würde ich Gelegenheit haben, herauszufinden, worauf es außerdem noch gründete.
    Von den besonderen Fähigkeiten meines Gastgebers zu erfahren trug nicht gerade dazu bei, mein Gemüt zu beruhigen. Und fast glaube ich, daß Rebeccas Zofe mir all diese Einzelheiten absichtlich erzählte, um mich zu quälen. Aber sie konnte ihre Schilderungen nicht fortsetzen, denn in jenem Moment öffnete sich die Tür des Zimmers, in dem ich mit meinen Prellungen lag, und Don José trat ein. Er schickte das Dienstmädchen hinaus, und an ihrer Statt kamen fünf seiner Glaubensbrüder herein, allesamt mit langen Bärten und hohen, mit violettem Tuch umschlungenen Hüten.
    |131| Sie schlossen die Tür hinter sich und stellten sich um mein Bett herum auf. Ernsten Blickes begannen sie, laut und feierlich zu singen. Es klang ein bißchen wie eine Totenklage. Bedächtig breitete Don José derweil Verbände und Salben auf einem mit wertvollen Intarsien verzierten Tisch aus. Als er fertig war, streckte er die Hand aus, und einer seiner Getreuen reichte ihm ein zierliches Silberetui. Er öffnete es, und ich entdeckte darin, ordentlich aufgereiht, ein scharfes Messer, eine gebogene Schere, ein Stäbchen und ein kleines Gefäß, alle aus demselben Metall.
    Da begriff ich, daß ich nicht so einfach mit dem Leben davonkommen würde, denn sie schickten sich an, dafür zu sorgen, daß sich meine nächtlichen Eskapaden nicht wiederholten. Ich zweifelte nicht daran, daß ich diese Kammer nicht eher verlassen würde, als bis man mich meiner Männlichkeit beraubt hatte …«
    Raimundo Randa hält inne, als er hört, wie sich Schritte nähern und jemand mit dem Schlüssel im Schloß stochert. Kaum hat sich die Zellentür geöffnet, blickt er über die Schulter seiner Tochter und sieht oben auf der Treppe seine bewaffneten Wächter stehen. Und hinter ihnen den Mann mit der Maske.
    »Kommt zum Schluß. Eure Zeit ist um«, teilt ihnen der Kerkermeister mit.
    Dem Gefangenen schnürt es die Kehle zu, als er die verschleierte, unverwechselbare Stimme erkennt. Er fühlt sich ganz beklommen. Zweifellos ist es der Mann mit der silbernen Hand. Auch seine Haltung verrät ihn und die Art, wie er den rechten Arm bewegt. Er kann die Hand nur unter Schwierigkeiten heben, indem er sich mit der anderen behilft, mit einer Geste, die seine Schmerzen verrät, sosehr er sie auch zu verbergen sucht.
    Raimundo versucht sich zu beherrschen. In seinem tiefsten Inneren steigt jedoch ein Gefühl unbezähmbaren Zorns auf, das sein Blut in Wallung bringt und sein Gesicht rot anlaufen läßt. Ruth bemerkt es gerade noch rechtzeitig und drückt ihn energisch auf die Bank.
    |132| »Ich hätte große Lust, auf ihn loszugehen!« murmelt Randa mit zusammengebissenen Zähnen.
    »Ihr wißt genau, daß das sinnlos wäre«, flüstert sie ihm ins Ohr, als sie sich hinabbeugt, um ihn zum Abschied auf die Wangen zu küssen. »Er würde ein leichtes Spiel mit Euch haben, und das würde alles nur noch schlimmer machen. Dieser Mann wartet doch bloß auf einen Vorwand, um Euch töten zu können. Wenn er Euer Leben in diesen Tagen schont, dann nur, weil er strikte Anweisungen vom König hat. Aber niemand kann ihn daran hindern, vor Zeugen in Notwehr zu handeln.«
    Die Besonnenheit seiner Tochter überrascht Randa; sie muß sie von ihrer Mutter geerbt haben, von ihm hat sie sie jedenfalls nicht. Er sieht ein, daß sie recht hat. DerVermummte winkt jetzt die junge Frau mit einer ungeduldigen Geste zu sich. Randa entgeht dabei nicht der komplizierte Mechanismus der metallenen Hand, ebensowenig wie der intensive Schmerz, den sie ihrem Herrn zu bereiten scheint. Eine Idee beginnt in seinem Inneren Gestalt anzunehmen. Statt seine Wut zu zeigen, beschränkt er sich nun darauf, mit lauter Stimme Ruth hinterherzurufen:
    »Kommst du morgen wieder?«
    Die junge Frau dreht sich zu dem Mann mit der silbernen Hand um, wartet auf seine Zustimmung.
    »Euch bleiben acht Tage …«, antwortet der Kerkermeister kalt. »Wenn Ihr Euch vorher nicht entschließt zu gestehen, werdet Ihr am neunten Tag der Heiligen Inquisition

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