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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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einen Sessel geschleudert wurde und mich, mit entblößter Scham und hochgerutschtem Hemd, nicht mehr rühren konnte. Als Don José Toledano – und mit ihm die ganze Familie – mit einer Kerze herabgestiegen kam und mich in diesem bedauernswerten Zustand entdeckte, machte er nicht eine einzige Bemerkung; er packte nur seine Tochter an der Schulter und schob sie resolut die Treppen hoch in ihr Schlafgemach.
    Auch ich wurde von den Dienstboten in meine Kammer gebracht, wo man mich einsperrte. Während ich mich von meinen Prellungen erholte, fragte ich mich fortwährend, welch erbärmliches Schicksal mich wohl erwartete. Durch mein überstürztes Handeln hatte ich alles verloren. Nun würden sie mich von der schönen Rebecca fernhalten. Und das wäre noch nichts gegen das, was mir zudem wahrscheinlich bevorstand: Möglicherweise würde Don José mich meinem ehemaligen Herrn, dem Grindschädel, ausliefern, der mich im Hof seines Palasts unverzüglich pfählen lassen würde.
    Doch die Tage vergingen, und nichts dergleichen passierte. Ich war verwirrt und schrieb dieses Verhalten zuerst der Feindschaft zu, die zwischen Fartax, José Toledano und Noah Askenazi bestand. Erst hinterher erfuhr ich, was in der Zeit meines Arrests und meiner Genesung geschah: Der Blutleere beschuldigte mich, ein Spion von Fartax zu sein, und behauptete, ich suche im Haus nach etwas sehr Wertvollem; was das sein sollte, konnte ich damals allerdings nicht erahnen. Folglich riet er |129| Don José zu, mich zu töten, damit ich nicht herausfand, was sie planten; anscheinend eine große Sache, mußte der Besuch der zehn Geschworenen doch absolut geheimgehalten werden.
    Skeptisch, wie es seine Art war, teilte Don José diese Einschätzung nicht ganz. So ging es mehrere Tage hin und her, bis sich eines Abends der Blutleere durchzusetzen schien, zumal er seine Behauptung nun noch durch ein weiteres heikles Indiz stützen konnte: Ein aufgeregter Dienstbote hatte ihnen berichtet, daß Rinckauwer auf einem seiner heimlichen Ausflüge niedergestochen und getötet worden sei. Das verschlimmerte meine Lage noch, denn nun sah es so aus, als wären mein nächtliches Abenteuer und die heimtückische Ermordung des Druckers aufeinander abgestimmt gewesen.
    Askenazis Meinung hätte den Ausschlag gegeben, wäre Rebecca nicht eingeschritten. Als ihr zu Ohren kam, daß man vorhatte, mir das Lebenslicht auszublasen, eilte sie in den Raum, wo ihr Vater und der Verwalter sich besprachen.
    ›Raimundo hat nicht die leiseste Ahnung von Eurem Geheimnis. Und er hat auch nicht nach dem gesucht, was
Ihr
denkt.‹
    Die beiden Männer sahen sie verblüfft an.
    ›Worauf war er dann aus?‹ fragte Don José schließlich.
    ›Auf mich‹, antwortete sie.
    ›Überlegt Euch gut, was Ihr da sagt‹, schaltete sich Askenazi ein. ›Woher wollt Ihr das überhaupt wissen?‹
    Das war eine sehr ernste Angelegenheit und eine sehr verfängliche Frage, von der mein Geschick abhängen würde. Rebecca wußte das und antwortete deshalb sehr bedacht.
    ›Weil es nicht das erste Mal war, daß er in meine Kammer wollte. Und es hat bisher nie irgend etwas gefehlt, oder?‹
    Um mein Leben zu retten, setzte Rebecca ihr eigenes aufs Spiel. Und ihre Ehre. Ihre Verlobung mit dem Blutleeren war damit hinfällig, zudem lief sie Gefahr, enterbt zu werden, eine beneidenswerte Mitgift zu verlieren und von ihren Eltern und der jüdischen Gemeinschaft verstoßen zu werden.
    Doch das erfuhr ich, wie gesagt, erst viel später, denn zu jenem |130| Zeitpunkt war ich ja in meiner Kammer eingesperrt. In dem Versuch, etwas über mein Schicksal herauszubekommen, begann ich mit denen zu plaudern, die mir das Essen brachten, besonders mit einem Dienstmädchen, das Rebecca als Zofe diente. Zwar konnte sie mir nichts über die Gedanken ihrer Herrin sagen, zumindest konnte ich ihr aber entlocken, wie José Toledano zu seinem großen Vermögen gekommen war. Ich wußte ja bereits, daß er Arzt war. Und Chirurg. Aber was ich noch nicht kannte, war sein Spezialgebiet: die Kastration.
    Es war dies ein einträgliches Gewerbe und eine höchst heikle Aufgabe, denn von zehn Entmannten starben sieben. Die Türken sind sehr eifersüchtig, weshalb bei ihnen den Eunuchen nicht nur wie andernorts beide Hoden entfernt werden, sondern auch das ganze Glied. Daher ist der Preis, den man für die Überlebenden erzielt, unwahrscheinlich hoch. Nur die Reichen sind in der Lage, ihn zu bezahlen, und ein Eunuch ist das beste Geschenk, das man

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