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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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unterwegs weiterreden. Wir sind schon spät dran. Und ich muß noch zu Hause vorbei, um meinen Koffer zu packen.«
    »Ich habe meinen schon fertig. Wenn Sie möchten, kann ich Sie fahren«, erwiderte Rachel. »Wo wohnen Sie?«
    »In der
Investigator’s Residence

    »Das liegt auf dem Weg zu Bealfelds Haus.«

|167| III Die Rückkehr
    Raimundo Randa horcht auf, als sich jemand damit abmüht, den Schlüssel im Schloß herumzudrehen. Dann geht die Tür auf, und Ruth betritt die Zelle. Die schwere Eisentür schließt sich wieder hinter ihr. Von der anderen Seite ist danach gedämpft die rauhe Stimme von dem Mann mit der silbernen Hand zu vernehmen, der den Wachen Befehle erteilt, während die junge Frau die Steinstufen zu ihrem Vater hinabsteigt und, statt sich lange mit der Vorrede aufzuhalten, gleich zur Sache kommt.
    »Wie ging die Geschichte aus, die Ihr mir gestern erzählt habt?«
    »Du meinst, nachdem ich die Treppe hinuntergefallen war und man mich eingesperrt hatte? Das ist keine sehr angenehme Geschichte, erst recht nicht für eine junge Frau wie dich. Aber gut, eigentlich hast du recht, du bist schließlich schon verheiratet, und was damals geschah, hatte eine gewisse Bedeutung für alles, was danach kam. Machen wir also an dieser Stelle weiter …
    Nun, als José Toledano und seine fünf Glaubensbrüder meine Kammer betraten, war mir sofort klar, daß ich ihren Besuch nicht unversehrt überstehen würde. Und so war es denn auch. |168| Nachdem Don José seine Verbände und Salben auf dem Tisch ausgebreitet und ein scharfes Messer und eine Schere zurechtgelegt hatte, trat er an mein Bett, schlug die Decke zurück und streckte die Hände nach mir aus. Da begriff ich, was der Zweck seiner eigentümlich geschnittenen Daumennägel war: Er nutzte sie für die Beschneidungen. Denn das war eines seiner Ämter, das er in jener Gemeinschaft ausübte, mit dem er den Seinen zu Diensten war.
    Ein kalter Schauder lief mir über den Rücken angesichts dessen, was mich erwartete. Noch wußte ich nicht, ob man mich beschneiden oder einen Eunuchen aus mir machen wollte. Ich sollte es sogleich erfahren. Da ich Jude sei, erklärte Don José in aller Seelenruhe, würde es höchste Zeit, dementsprechend zu handeln.
    ›Dieses Häutchen, mit dem dich die Natur ausgestattet hat, beleidigt unser Auge, und ich werde nicht zulassen, daß unter meinem Dach weiterhin jemand mit dem Makel eines Heiden schläft.‹ Und wie er das Entsetzen aus meinem Gesicht las, fügte er noch ein anzügliches Sprichwort hinzu: ›Na, komm schon, du weißt doch, die Altarkerze brennt besser, wenn man den Docht zurückschneidet.‹
    Mir stand in jenem Augenblick der Sinn ganz und gar nicht nach wie auch immer gearteten Altarkerzen, aber ich durfte mich dem Hausherrn auch nicht widersetzen, wollte ich mein Leben retten. Und erst recht durfte ich ihm nicht gestehen, daß ich überhaupt kein Jude war. Man würde nur noch mehr Argwohn gegen mich hegen, und es würde mir einzig die Auslieferung an Fartax einbringen und damit meine unverzügliche Pfählung. Wer die Wahl hat, hat die Qual.
    Mir blieb also nichts anderes übrig, als mich der schmerzhaften Operation zu unterziehen. Ich fühlte, wie Don José kräftig an meiner Vorhaut zog. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt, ich klammerte mich an mein Bett wie ein Schiffbrüchiger an die rettende Planke. Plötzlich durchzuckte mich ein fürchterlicher brennender Schmerz, der von der Eichel durch meinen ganzen Körper ging. Ich riß die Augen auf. |169| Mit einem entschlossenen Scherenschnitt hatte Don José mir soeben das Häutchen entfernt, und das Blut begann bereits die Laken zu färben, während er sich die Verbände und die blutstillende Salbe reichen ließ. Da verlor ich das Bewußtsein.
    Kaum war ich wieder zu mir gekommen, teilte man mir mit, daß es bei der Wundheilung durchaus auch zu Komplikationen kommen könne. Ich konnte mich vor Schmerz kaum rühren, als ich, noch ganz benommen, folgende Bemerkung Don Josés zu hören bekam:
    ›Mal sehen, ob wir Glück haben und er keinen Wundbrand bekommt. Sonst verlieren wir ihn wohl.‹
    Seinerzeit verfluchte ich mein trauriges Geschick. Doch im Laufe meines Lebens konnte ich feststellen, wie mir diese Unannehmlichkeit auf meinen Reisen durch die Länder der Ungläubigen mehr als einmal das Leben retten sollte. Die Beschneidung ist das erste, wonach sie dich fragen, wenn sie den Verdacht haben, daß man versucht, sich als Jude oder Moslem auszugeben,

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