Kryptum
bekannt wird, werden wir wissen, wer dafür verantwortlich ist.‹
›Und wem muß ich diese Nachricht überbringen?‹
›Das erfahrt Ihr jetzt noch nicht. Zuerst reist Ihr mit dem Schiff nach Saloniki und von dort über Land nach Ragusa, wo man Euch neue Anweisungen geben wird. Askenazi wird Euch mit den nötigen Dokumenten ausstatten, die Euch vor den Vertretern des Handelsgesellschaft ausweisen.‹
Keinem Kurier war wohl jemals so viel Mißtrauen entgegengebracht worden, nichtsdestotrotz erklärte ich:
›Habt Dank für das in mich gesetzte Vertrauen, Herr. Ich werde Euch nicht enttäuschen.‹
›Dankt nicht mir, sondern meiner Tochter. Ihr Leben und ihre Ehre hängen von der Erfüllung Eurer Mission ab, denn |172| sie steht mit ihrem Wort für Euch ein. Kehrt Ihr nicht zurück, wird über sie der Cherem ausgesprochen, und nicht einmal ich werde das verhindern können.‹«
Ruth, die jedem einzelnen Wort ihres Vaters gespannt gelauscht hat, unterbricht ihn.
»Was ist ein
Cherem
?«
»Du hast nie einen miterlebt, du warst damals noch sehr klein. Es ist für die Juden das, was für die Christen der Kirchenbann ist. In aller Öffentlichkeit wird derjenige, den es trifft, mit einem Fluch belegt. Ob stehend oder liegend, wachend oder schlafend, im Haus oder auf der Straße, bei Tag, bei Nacht, zu jeder Stunde, immerzu wird er verdammt sein. Es ist eine Strafe, die einen aus der Gemeinschaft ausschließt. Man darf nicht mehr dort arbeiten, man wird zu einem Aussätzigen. Und niemandem ist gestattet, mit dieser Person Umgang zu pflegen, weder schriftlich noch mündlich, oder ihr irgendeinen Dienst zu erweisen, geschweige denn sich ihr bis auf mehr als vier Ellen zu nähern oder sich gar unter demselben Dach aufzuhalten.«
»Man ist also so gut wie tot.«
»Schlimmer noch, denke ich. Denn niemand wird die Menge daran hindern, dich zu steinigen, oder die eigene Familie, die sich wie die Aasgeier auf dein Vermögen stürzen wird, davon abhalten, dich zugrunde zu richten.
Deshalb bereitete es mir auch große Sorgen, Rebecca dort zurückzulassen. Beim Abschied am Hafen bangte ich bereits sehr um sie. Sie wurde von ihrer Mutter begleitet, die sie seit meinem nächtlichen Abenteuer nicht mehr aus den Augen ließ, weshalb sie nicht mehr sagen konnte als:
›Gebt auf Euch acht.‹
Ein Blick in ihre Augen reichte mir jedoch, um sie voll und ganz zu verstehen. Es lag keine Angst darin, wohl aber eine verzweifelte Bitte: Kehr schnell zurück. Laß mich nicht lange allein unter all den Wölfen!
Als das Schiff die Segel setzte und in See stach, blieb ich an Deck, von wo aus ich Rebecca immer kleiner werden sah, bis |173| sie nur noch ein winziger Punkt auf der Mole war. Sie hatte alles für mich aufs Spiel gesetzt: ihre Mitgift, ihre Ehre. All das würde sie verlieren, vielleicht sogar das Leben, falls ich nicht zurückkehrte oder meine Mission nicht erfüllte.
Dieser Gedanke trieb mich bei jeder meiner Zwischenstationen an. Das dichte Netz von Kurieren, über das die Toledanos, das heißt, Askenazi und seine Gefährten, verfügten, überraschte mich sehr. Die Juden hatten sich in sämtlichen Handelszentren breitgemacht, so daß sich selbst die entlegensten Völker ihrer bedienten, um sich gegenseitig Nachrichten zukommen zu lassen. Jedesmal, wenn ich irgendwohin kam und mich unter Berufung auf die Toledanos und die ›Rückkehr‹ auswies, erhielt ich auf der Stelle ein Nachtlager, Essen und jegliche Art von Unterstützung. Und obendrein genaue Auskunft über die nächste Tagesetappe: welche Wegstrecken man gefahrlos bereisen konnte und welche ich eher meiden sollte, welche Unterkünfte sicher waren und wo ich bei Bedarf Rat und Hilfe erhalten könnte. Die Empfehlungsschreiben, die man mir dazu ausstellte, waren ebenso wertvoll wie der Schuldschein einer Bank. Der Name der Toledanos öffnete mir sämtliche Türen. Und beim Abschied wurde mir stets dieselbe verstohlene Frage gestellt:
›Und wann wird die Rückkehr sein?‹
›Bald, sehr bald‹, antwortete ich dann jedesmal, ohne genau zu wissen, wovon eigentlich die Rede war.
Nachdem ich in Saloniki von Bord gegangen war, reiste ich auf dem Landweg weiter nach Ragusa, einem wahren Paradies für die Geheimkuriere und Haudegen des gesamten Mittelmeerraums. In den Schenken am Hafen konnte man Menschen aus aller Herren Länder antreffen, und es dauerte nicht lange, bis ich begriff, daß dort alles zusammenkam, was diesbezüglich Rang und Namen hatte. Wer auch immer
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