Kryptum
finstere Ränke schmiedete, sah zu, daß er sie in einer jener Spelunken zuwege brachte. Wenn zwei Staaten, die keine Gesandten hatten, einen geheimen Pakt schließen wollten; wenn jemand ein Gift auftreiben sollte, das keine Spuren hinterläßt; wenn man |174| vorhatte, Briefe, Waren oder Gefangene auszutauschen: all das erledigte man in Ragusa. Etliche Bewohner der Stadt lebten davon, keine Fragen zu stellen und wegzusehen, wenn etwas Seltsames geschah oder jemand in einer Seitengasse niedergestochen wurde.
Und genau dort wollte sich Askenazi meiner entledigen. Unabhängig von den Plänen Toledanos und jenen der Mitglieder seiner Handelsgesellschaft verfolgte der verschlagene Verwalter nämlich seine ganz eigenen Ziele, und die Mission sollte dazu beitragen, diese zu verschleiern: Sobald man mich kaltgemacht hätte, würde er mich durch einen seiner eigenen Leute ersetzen und so beweisen, daß ich nicht vertrauenswürdig gewesen war. Dergestalt würde er Rebeccas Position schwächen, worauf sie ihm, der als ihr Retter aufträte, wie eine reife Frucht in den Schoß fallen würde.
In Ragusa sollte ich eines der Kontore der Handelsgesellschaft aufsuchen, wo ich Anweisungen für den weiteren Verlauf meiner Reise erhalten würde. Es lag etwas abseits, in der Nähe der Lagerhäuser am Hafen. Ich traf Askenazis Unterhändler jedoch nicht an; seinen Gehilfen zufolge würde er erst am nächsten Morgen wieder dort sein.
›Dann bestellt ihm bitte, daß ich gegen Mittag vorbeikommen werde‹, sagte ich zu ihnen und ging.
Am nächsten Tag, die vereinbarte Stunde rückte schon näher, machte ich mich erneut auf den Weg zum Hafen. Doch als ich in eine Seitengasse bog, wurden – ohne daß irgend jemand mich mit ›Vorsicht, Kopf weg!‹ vorwarnte – von einem Balkon ein Nachttopf und andere Nettigkeiten genau über mir ausgeschüttet. Natürlich war ich danach in einem so unbeschreiblichen Zustand, daß ich wie ein Rohrspatz zu schimpfen begann, worauf der Hausherr persönlich herunterkam, um sich zu entschuldigen. Er bat mich ins Haus, hieß mich meine Kleidung ablegen und befahl seinen Mägden, sie zu reinigen. In diesem Moment schlug die Uhr am Marktplatz zwölf, und ich erklärte meinem unfreiwilligen Gastgeber, daß ich nun eigentlich eine Verabredung hätte. Darauf erbot er sich, einen |175| seiner Männer hinzuschicken, um meine Verspätung zu entschuldigen. Ich nahm das Angebot dankbar an.
Die Zeit verging, doch der Mann tauchte nicht wieder auf. Deshalb schickte der Hausherr einen weiteren seiner Dienstboten auf die Suche nach ihm, der bald mit der Nachricht zurückkam, man habe den Knecht erstochen. Die Überraschung meines Gastgebers war groß. Meine eigene allerdings nicht so sehr, da mir dämmerte, wem der tödliche Degenstoß eigentlich gegolten hatte. Ich riß den Umschlag auf, den mir Askenazi für seinen Unterhändler mitgegeben hatte. Er war zwar naß geworden, aber trotzdem konnte ich die Anweisungen darin noch entziffern: Die Reise sollte nach Mailand weitergehen, zu einem gewissen Girolamo Cardano.
Ich erklärte meinem Gastgeber die Klemme, in der ich steckte. Ohne zu zögern, bot er mir seine Hilfe an. Als ich ihm erzählte, wo ich untergekommen war, schickte er einen Knecht in die Schenke, damit dieser meine Sachen holte, und dann brachte er mich zum ersten Schiff, das einen italienischen Hafen anlief. Es nahm Kurs auf Ancona, und er bat den Kapitän, mich gleich nach dem Anlegen einer bewaffneten Reisetruppe anzuvertrauen, die in Richtung Mailand unterwegs war.
Ich erreichte die Stadt ohne weitere unliebsame Zwischenfälle. Sobald ich mich von der beschwerlichen Reise einigermaßen erholt hatte, machte ich mich auf den Weg zu Girolamo Cardano. Ich fand ihn in einer armseligen Kammer tief über einen wackeligen Tisch gebeugt, da er am Wachs der einzigen Kerze sparte, die er besaß. Der erste Eindruck hätte jämmerlicher nicht sein können. Er war von zwergenhaftem, schmächtigem Wuchs, hatte eine hohe Stirn, die kleinen Augen hinter der Brille waren gerötet, die Unterlippe hing herab, die Stimme war rauh und schrill, und er zappelte ständig mit den Beinen. Doch schon bald konnte ich feststellen, daß sein mißgestaltetes Erscheinungsbild seinem Edelmut und seiner Klugheit nicht im geringsten gerecht wurde. Er hatte eine ganz außergewöhnliche Begabung für die Medizin, die Mathematik und die Mechanik. Später würde ich mehr über sein trauriges |176| Schicksal erfahren, über die von Prügel,
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