Kryptum
zur NSA kommen oder nicht, heute abend werden wir alle von Baltimore aus das Flugzeug nach Spanien nehmen müssen. Warum reden wir nicht beim Essen darüber?« schlug Bealfeld vor.
»Wo wohnen Sie?«
»Neben der öffentlichen Bibliothek, gleich hinter der Tankstelle. Vielleicht nimmt Rachel Sie ja in ihrem Auto mit.«
»Meinetwegen«, antwortete die junge Frau resigniert. »Bist du sicher, daß du jetzt nichts trinken möchtest?«
»Ganz sicher, danke.«
Kaum war Rachel aus dem Zimmer gegangen, um die Drinks zu holen, klopfte Bealfeld David anerkennend auf die Schulter.
»Sie machen das sehr gut. Ich glaube, Rachel beginnt uns die überstürzte Flucht aus der Stiftung zu verzeihen. Seien Sie dennoch auf der Hut, und machen Sie durch eine unbedachte Bemerkung nicht wieder alles kaputt.«
»Sie haben leicht reden, Sie machen ja die Biege.«
»Wenigstens werden Sie vorläufig nicht wegen Diebstahls im Kittchen landen. Aber machen Sie sich keine Sorgen, die Zelle dort steht Ihnen jederzeit zur Verfügung, wenn Sie es sich anders überlegen. Ich erwarte Sie also zum Essen. Ich lasse Ihnen das Videoband da. Viel Glück!«
|160| Während David durch das Fenster dem Auto des Kommissars nachsah, sagte er sich, daß Bealfeld ein ganz schön gewiefter Bursche war. Mit seiner versteckten Drohung glaubte er wohl, ihn zu einem Waffenstillstand mit Rachel Toledano zwingen zu können. Das hat mir gerade noch gefehlt, dachte er, ein Bulle wie aus einem Frank-Capra-Film.
In diesem Augenblick kam Rachel mit einem Tablett zurück. Sie reichte ihm seinen Drink und schenkte sich selbst einen Eistee ein, während sie David verstohlen beobachtete, wie er sich mit beiden Händen das lockige schwarze Haar verstrubbelte und seinen kräftigen Nacken massierte. Er war attraktiv, das konnte sie nicht leugnen. Athletischer Körperbau, hohe Wangenknochen, breites Kinn. Trotz seines vorherigen schroffen Benehmens schien er zudem gar nicht so ungehobelt zu sein, wie sie es noch bei ihrem letzten Zusammenstoß gedacht hatte, als er die Negative jener Fotos einforderte. Im Gegenteil, auf einmal bemerkte sie an ihm eine Sensibilität, die man bei jemandem mit einer so männlichen Ausstrahlung kaum vermuten würde. Vor allem beeindruckte sie aber die tiefe Traurigkeit, die in seinen Augen lag, was er mit einem wenig überzeugenden, schüchternen Lächeln zu verbergen suchte. Vielleicht hatte ihre Mutter ja doch recht und er war ein ganz sympathischer Mann und nicht nur ein guter Kryptologe mit einem hohen Maß an Willenskraft und eiserner Disziplin.
Nach dem ersten Schluck schien David aufzuleben.
»Hm … Also, auf dem ersten Papier sehen wir etwas, das wie eine Maschine mit zehn Kurbeln auf jeder Seite aussieht, die an ebenso vielen Würfeln befestigt sind. Dann haben wir ein Quadrat aus zehn mal zehn mit Buchstaben gefüllten Kästchen. Und eine Pappe mit zehn Löchern. Sie sagten, Ihre Mutter erwähne in Ihrem Brief, daß diese Papiere möglicherweise von Cardano stammen. Nun, vielleicht hat sie Cardanos Vorlage für das nach ihm benannte Cardan-Gitter entdeckt, das in der frühen Neuzeit eine bedeutende Rolle bei der Verschlüsselung von wichtigen Botschaften spielte.«
»Ein Cardan-Gitter? Was ist das? Ich sehe nichts weiter als |161| ein Stück Karton mit ein paar Löchern«, wandte Rachel ein. »Das ist es auch. Aber seinerzeit war das eine bahnbrechende Verschlüsselungsmethode.«
»Aha. Und wie funktioniert sie?«
»Ganz einfach. Um eine Botschaft zu verschlüsseln, schneidet man sich zuerst diese Schablone zurecht, die genauso viele Löcher haben muß wie der zu verschlüsselnde Text – den man übrigens Klartext nennt – Buchstaben. Diese Schablone legt man dann auf ein gerastertes Papier von identischer Größe und verteilt die Buchstaben der Botschaft auf die Löcher. Danach füllt man alle anderen Kästchen mit beliebigen Buchstaben und verbirgt so die eigentliche Nachricht. Folglich kann nur derjenige, der die Schablone besitzt, den Klartext entschlüsseln.«
»Und was hat die Schablone mit der anderen Zeichnung zu tun, dieser Maschine mit den Kurbeln?«
»Vielleicht hat sie ja dazu gedient, diese zu entwickeln. Das ist allerdings nur eine Hypothese. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte man Lochkarten erstmals in mechanischen Webstühlen ein, wodurch automatisch bestimmte Muster entstanden. Sie haben doch bestimmt einen Pullover in Jacquardmuster, oder? Dieses Muster geht auf den Erfinder der mit Lochkarten betriebenen
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