Kryptum
Felipe konnte es sich um niemand anders als um König Philipp II. handeln, der dort residierte.
›… und erinnert Artal de Mendoza daran, daß noch mein Lohn aussteht für den Auftrag, den er und Askenazi mir gegeben haben‹, schloß Cardano und überreichte mir die beiden Umschläge, die ich zu überbringen hatte.
Auf dem Rückweg zur Schenke, in der ich Quartier genommen hatte, fragte ich mich zum wiederholten Male, wer wohl jener Artal de Mendoza war, der in Brüssel auf mich zu warten schien und über den ich nicht das geringste wußte – das dachte ich zumindest damals –, außer, daß er der Komplize von Don José Toledanos Verwalter war, welcher hinter dem Rücken von Rebeccas Vater und seiner Handelsgesellschaft allerlei Ränke schmiedete.
Bei Tagesanbruch ging ich zur Poststation der Taxis und übergab dem Postmeister meine Empfehlungsschreiben. Oder, um genau zu sein, die Empfehlungsschreiben, die eigentlich für Rinckauwer vorgesehen waren. Da man hier noch nichts von dem Vorfall in Ragusa wußte, schenkte er ihnen auch Glauben.
›Wollt Ihr in Tagesetappen reisen oder als Eilkurier?‹
›Als Eilkurier. Ich darf keine Zeit verlieren. Und ich brauche die besten Pferde, die Ihr habt. Ich werde sie selbst auswählen.‹
›Versteht Ihr denn soviel davon?‹ fragte er mich zweifelnd.
›Vertraut mir.‹
›Solch vorzügliche Pferde können wir Euch nur zur Verfügung |179| stellen, wenn genug Post da ist und Ihr sie mitnehmt. Laßt mich nachsehen, wie viele Briefe uns vorliegen.‹
Er trat in die Amtsstube und beriet sich mit einem Schreiber, der die Sendungen je nach Bestimmungsort in verschiedene Fächer sortiert hatte.
›Ich glaube, wir haben genug zusammen für einen Eilkurier‹, meinte er danach.
›Wann kann ich aufbrechen?‹
›Wenn Ihr wollt, sofort. Ist Euch das recht?‹
›Natürlich‹, sagte ich. ›Sind die Wege in gutem Zustand?‹
›Sie sind nie sicherer gewesen. Ihr könnt die Route über Innsbruck nehmen.‹
Ich verließ also Mailand und machte mich über den Brenner und Tirol auf den Weg nach Norden, die Pferde zur Eile antreibend. Ohne irgendwelche Zwischenfälle erreichte ich die von spanischen Truppen bewachte Straße, die das Reich mit den Niederlanden verband. Von dort an wurde mir jede nur erdenkliche Hilfe und bevorzugte Behandlung zuteil, und ich konnte die besten Pferde auswählen, sobald ich Cardanos Losung vorzeigte. So kam ich bereits nach wenigen Tagen in Brüssel an.
Gleich am ersten Abend sollte ich herausfinden, wer Artal de Mendoza war: der erste Spion Seiner Majestät. Nachdem mich zwei Wachen durchsucht und mir alle meine Waffen abgenommen hatten, führten sie mich in den sogenannten Schwarzen Saal, wo Artal de Mendoza über seinen Schreibtisch gebeugt eine Nachricht las. Er hatte ein aristokratisches Auftreten; seine Gesten ließen vornehme Zurückhaltung erkennen. Sein Gesicht konnte ich allerdings nicht sehen, denn er trug eine Maske. Im Raum herrschte eine drückende Hitze, und neben dem Kamin lag ein großer Holzstapel, so als sei er sehr verfroren. Noch mehr verwunderte mich aber, daß er dennoch nicht den Handschuh aus feinem Leder ablegte, den er an der rechten Hand trug. In jenem Moment hob er jedoch den Kopf.
›Seine Majestät der König hat Eure Nachricht gelesen. Und |180| er hat verfügt, daß Ihr sie seinem Vater überbringen sollt, Kaiser Karl V., der zurückgezogen im Kloster San Jerónimo de Yuste in der Extremadura lebt. Er wird Euch Antwort geben.‹
Ich war wie vor den Kopf geschlagen. Eigentlich wollte ich so schnell wie möglich nach Konstantinopel zurückkehren, und nun sollte ich nach Spanien weiterreisen! Erst jetzt wurde mir die Gefahr so richtig bewußt, die der Verräter Askenazi für Rebecca und Don José darstellte. Ich wollte deshalb schon vorsichtig Einspruch dagegen erheben, als Artal kurz und bündig hinzufügte:
›Ihr werdet gleich morgen mit einer Eskorte aufbrechen. Nutzt die Zeit, um etwas zu essen und Euch auszuruhen.‹
Da ich ja nicht aufdecken konnte, wer ich wirklich war, fiel mir nur ein einziger Hinderungsgrund ein.
›Zuerst muß ich Giovanni Torriani sehen.‹
›Den werdet Ihr in Spanien treffen. Torriani hat den Kaiser nachYuste begleitet‹, versetzte er, während er in einer schwer zu beschreibenden Geste instinktiv mit seiner linken Hand nach der rechten griff, als könnte er damit einen stechenden Schmerz erträglicher machen. Erst später wurde mir klar, daß es nicht nur dieser Schmerz
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