Kryptum
Hunger und allerlei Krankheiten geprägte, entbehrungsreiche Kindheit eines Bastards. Er war sich bewußt, daß ihm im Alter noch schwerere Prüfungen bevorstanden, trotz seiner vielen Talente, denn er sah sich außerstande, den Mächtigen um den Bart zu gehen.
Cardano erklärte mir, er sitze seit einem Monat wegen Askenazis Auftrag fast nur noch in seiner Studierstube und kritzele ein Papier nach dem anderen voll. In den letzten Tagen habe er nicht einmal das Haus verlassen, so versunken sei er in sein neues Verfahren der Verschlüsselung gewesen, das er dem König von Spanien verkaufen wolle, um seine Geldnot zu lindern.
In diesem Moment klopfte es an der Tür, und eine Frau kam herein, die ihm sein Essen brachte und mit ihm schimpfte, weil er seine letzte Mahlzeit kaum angerührt hatte. Ein Streit entbrannte, den Cardano beendete, indem er ihr einfach die Tür vor der Nase zuschlug.
›Sie ist häßlich, aber eine treue Seele‹, bemerkte er nur, bevor er mich einlud, sein bescheidenes Mahl mit ihm zu teilen.
Während er wie ein Spatz lustlos im Essen stocherte, zeigte er mir die Zeichnung eines seltsamen quadratischen Gestells, das auf jeder Seite zehn Kurbeln hatte, deren Achsen mit ebenso vielen Reihen kleiner Würfel im Inneren des Gestells verbunden waren.
›Der Apparat funktioniert mit demselben Schlüssel wie die Botschaft, die Ihr Don Felipe überbringt. Es ist ein neues, einfaches Verfahren, das sehr sicher ist, da es noch niemand kennt. Wenn meine Erfindung erst einmal ausgereift ist, wird man niemandes mehr bedürfen, der Geheimschriften zu entschlüsseln weiß. Nur noch derjenige, der sie schreibt, und der, für den sie bestimmt ist, werden die Nachricht lesen können.‹ Daraufhin griff er nach einem Briefumschlag und zog ein Blatt Papier heraus. ›Doch kommen wir zu dem zurück, weswegen Ihr hier seid. Das hier ist die Botschaft, die Ihr von Innsbruck an vorzeigen müßt. Sie wird Euch als Losung dienen.‹
Und er legte das Papier vor mich hin, auf dem in holprigem Deutsch zu lesen stand:
|177|
Gnäd’ger Herr, die Rinckauwer haben ein Anschlag uf nächsten
Montag in der Nacht in das Lant bi uns heimlich zu fallen. Seid gerüst.
›Aber …‹, wandte ich ein, ›das kann doch jeder lesen.‹
›So ist es. Dennoch kann nur Don Felipe die eigentliche Botschaft lesen, die sich hinter diesen Worten verbirgt, dank meiner Erfindung, die sich hier drin in diesem zweiten Umschlag befindet, der versiegelt und nur für seine Augen bestimmt ist.‹
Ich wagte nicht zu fragen, wohin meine Reise denn gehen sollte, um nicht zu verraten, daß ich gar nicht Rinckauwer war. Cardano hatte gerade zweimal den Namen ›Don Felipe‹ erwähnt und mir so den Empfänger meiner Botschaft enthüllt. Aber wo lebte dieser Don Felipe? Und was war meine Mission? Mit diesen Fragen schlug ich mich herum, als Cardano noch etwas hinzufügte.
›Und richtet Artal de Mendoza aus, es sei leider nicht möglich gewesen, das Pergament wiederherzustellen …‹
Wer mag dieser Artal de Mendoza sein, und von welchem Pergament ist die Rede? fragte ich mich im stillen.
›… mit diesem Apparat hier ginge es vielleicht …‹, fuhr Cardano fort und zeigte dabei auf seinen Entwurf. ›Ich kenne allerdings nur eine Person, die dazu in der Lage wäre: Giovanni Torriani, der Uhrmachermeister Seiner Majestät. Ich hoffe, daß er noch immer ein so großer Handwerker ist wie ehedem und nach wie vor am Hof von Brüssel lebt. Könntet Ihr ihm diese Zeichnung überbringen?‹
›Seid unbesorgt.‹
›Giovanni ist mein Freund, und wir haben uns oft darüber unterhalten, wie nützlich diese Vorrichtung wäre, um die unterschiedlichen Kombinationen für einen Hauptschlüssel auszuarbeiten, den man in großen Bauwerken so dringend benötigt. Aber erklärt ihm, daß dies ein Entwurf für einen Kombinationsapparat allgemeinerer Art ist, den man auch zum Übersetzen, Ver- und Entschlüsseln einsetzen könnte. |178| Den Schlüssel dazu sollte man mechanisch, vielleicht mittels gelochter Pappstreifen, eingeben. Es kann natürlich auch per Hand geschehen, wie ich es im Fall dieser Botschaft getan habe, aber das ist mühselig und sehr fehleranfällig. Don Felipe wird sich so jedenfalls von der Nützlichkeit meiner Erfindung selbst überzeugen können …‹
Ich wurde aus seinen Ausführungen nicht klug; Rinckauwer hätte sicherlich mehr damit anfangen können. Aber jetzt wußte ich immerhin, was das Ziel meiner Reise war: Brüssel. Und bei Don
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