Kryptum
Jerónimo deYuste folgte, wohin sich der Kaiser nach seiner Abdankung zurückgezogen hatte. Dorthin befanden wir uns nun auf dem Weg.
›Jene Reise war wirklich höchst glücklich und erfolgreich‹, versicherte mir Herrera. ›Seine Königliche Hoheit Don Felipe war gerade erst 21 geworden, und es hieß mehr als 3000 Menschen zu bewegen, teils Truppen, aber auch Dienstboten, Kammerherren, Adlige, Kleriker und einen ganzen Schwarm von Höflingen. Sechs Monate waren wir unterwegs, von Spanien |183| nach Italien, von Italien nach Deutschland, wir waren wie eine Heuschreckenplage, bis wir schließlich in Brüssel einzogen.‹
Über das, was auf der Hand lag, ließ Herrera mir gegenüber jedoch kein Wort verlauten: zu jenem Gefolge zu gehören, bedeutete,
jemand
zu sein, wenn Seine Königliche Hoheit den Thron besteigen würde. Und er, vielfach erprobter Arkebusier und loyaler Höfling, war dabeigewesen. Später würde ich noch des öfteren beobachten, daß er zu jener Sorte Mensch gehörte, die keine Gelegenheit ausläßt, um ihre Stellung bei Hof zu festigen.
Ich fühlte ihm vorsichtig auf den Zahn, um vielleicht auf indirektem Weg die eine oder andere Auskunft über Artal de Mendoza zu erhalten. Doch er durchschaute mich sofort und weigerte sich rundweg, mir irgendeinen diesbezüglichen Hinweis zu geben. Zweierlei wurde mir trotzdem klar:zum einen, daß er ihm keinerlei Sympathie entgegenbrachte, und zum anderen, daß es sehr schwer sein würde, irgend jemanden dazu zu bewegen, mir etwas über den bedeutendsten Spion Seiner Majestät zu erzählen. Der Mann mit der silbernen Hand schien allen panische Angst einzujagen.
Kaum erreichten wir Peñaranda de Bracamonte, von wo aus wir die Sierra de Gredos in Angriff nehmen wollten, wurde das Wetter noch schlechter. In El Barco goß es wie aus Kübeln, und am rauhen Gebirgspaß vonTornavacas brach überraschend die Kälte über uns herein. Als wir den Aussichtspunkt von Peña Negra vor uns sahen, waren wir so durchnäßt und steifgefroren, daß wir uns fragten, ob wir weiterreiten sollten. Am Eingang zur Höllenschlucht brachten wir deshalb unsere Tiere zum Stehen und überprüften das Riemenwerk unserer Lastesel. Einer der Männer riet Herrera, das Tal nicht zu verlassen, sondern am Jerte entlang Richtung Plasencia zu reiten, um dann dem Tiétar flußaufwärts zum Kloster von Yuste zu folgen.
›Wie viele Tagereisen wären das?‹ erkundigte sich Juan de Herrera.
›Mindestens sieben.‹
|184| ›Soviel Zeit dürfen wir nicht verlieren. Gibt es keine Abkürzung?‹
Der Maultiertreiber deutete gen Süden.
›Durch die Garganta de los Asperones. Wir würden vier Tage sparen. Übermorgen wären wir in Jarandilla, mit etwas Glück vielleicht sogar schon in Cuacos. Aber bei diesem Wetter …‹
›Wir nehmen die Abkürzung‹, entschied Herrera. ›Ich werde ein paar Männer aus Tornavacas dingen, damit sie uns führen.‹
Es wurde ein beschwerlicher Weg. Doch bei Einbruch der dritten Nacht lag Cuacos vor uns. Am darauffolgenden Morgen heiterte sich meine Stimmung auf, als ich nach dem Aufwachen das Fenster meiner Kammer öffnete und feststellte, daß es zu regnen aufgehört hatte und aus dem Hof der Duft von Bergamotten-, Orangen- und Zitronenbäumen zu mir hochdrang. Mich überraschte, was für ein geschäftiges Treiben in dem Flecken herrschte, der fernab jeder größeren Straße lag. Doch die Nähe zu San Jerónimo deYuste hatte wohl allerlei Höflinge angezogen.
Es hieß, Karl V. habe das Interesse an den Regierungsangelegenheiten noch nicht verloren, und zwischen Yuste und dem Hof in Valladolid seien ständig Kuriere unterwegs. Es hieß aber auch, sein Gesundheitszustand lasse befürchten, daß er nicht mehr lange zu leben habe. Diese Auskünfte beunruhigten mich zutiefst. Zwar kannte ich nicht den Inhalt der Botschaft, die mir die Toledanos und ihre Handelsgesellschaft anvertraut hatten, wohl aber war mir die Bedeutsamkeit meiner Mission bewußt. Falls der Kaiser mir eine abschlägige Antwort erteilen würde, wäre meine Reise vergeblich gewesen und das Leben von Rebecca in Gefahr. Doch wie konnte ich vermittelnd eingreifen in etwas, von dem ich nicht einmal wußte, worin es bestand, noch dazu vor einer so wichtigen Persönlichkeit?
Ich hatte während unseres Rittes in die Extremadura unentwegt darüber nachgegrübelt und kam nun an diesem frühen Morgen zu dem Schluß, daß ich die Nachricht persönlich überreichen |185| mußte. In Brüssel hatte man mich
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