Kryptum
betrachtete ich die Aussicht, die sich mir von dort oben bot. Unter mir ein Wasserbassin, in dem Karpfen und Schleie gemächlich umherschwammen. Rundherum Rosen, Liguster, Jasmin und Geißblatt, das sich über die Klostermauern wand. Blickte man in die Ferne, eröffnete sich einem eine herrliche Landschaft mit stufenartig angelegten Terrassen, getaucht in ein warmes Licht, das allmählich an Kraft zu gewinnen begann. Ein zarter Regenbogen überspannte das Ganze mit heiteren Farben. Die Landschaft lag wie in Erwartung da, wirkte fast wie ein Wandteppich. Es war eine weite, vortreffliche Aussicht, die das Gemüt dessen, der tagtäglich seinen Blick darüber schweifen lassen konnte, sicher tief berührte.
Es dauerte eine ganze Weile, bis Turriano wiederkam.
›Seine Majestät fühlt sich ein wenig unpäßlich. Gestern abend hat er Aalpastete gegessen und sich dabei wohl den Magen verdorben. Heute morgen hat er kaum einen Löffel von dem Kapauneintopf mit gewürzter Milch gekostet, den er normalerweise zum Frühstück zu sich nimmt. Nicht einmal der Arzneiwein aus Sennesblättern hat ihm Erleichterung verschafft |190| . Gerade ist der Bader gegangen, und sein Kammerherr kleidet ihn nun für die Messe an, die heute zum Gedenken an Isabella von Portugal gefeiert wird und sicher ziemlich lange dauert, da es eine Predigt gibt und das Responsorium gebetet wird.‹ Als er mein verdrießliches Gesicht sah, meinte er mit besänftigender Stimme: ›Ruhig Blut! Wir werden versuchen, zur Mittagsstunde vorgelassen zu werden. Solange kommt mit mir. Ich will Euch meine Werkstatt zeigen.‹
Also begleitete ich ihn zum neuen Kreuzgang, wo er sich in einer der Kammern auf der Südseite eingerichtet hatte. In der Werkstatt begrüßten wir den Schmied, der in der hinteren Ecke den Blasebalg der alten Esse ausbesserte.
›Versteht Ihr etwas von Uhren?‹ fragte Turriano und deutete dabei auf seine Schätze.
›Ein wenig.‹
›Tatsächlich? Und wo habt Ihr das gelernt?‹ wollte er verwundert wissen.
›In Konstantinopel.‹
›In Konstantinopel? Die Türken kennen bereits solche Dinge?‹
›Ein Landsmann von Euch war dort und hat ihnen die erste Uhr gebaut. Und er hat mir einiges erklärt.‹
›Seine Majestät erweist mir häufig die Ehre seines Besuchs‹, erklärte Turriano nun, während er sein Ölkännchen nachfüllte. ›Er überprüft gern diese Räderwerke, weshalb sie stets in Ordnung sein müssen. Seine Majestät kennt sich damit aus, ihn kann man nicht täuschen. Und er versteht auch einiges von der Astronomie. Mehr als einmal hat er seinem obersten Astronomen die Stirn geboten und sich zu behaupten gewußt.‹
Ich dachte bei mir, daß die komplizierten Räderwerke der Zeitmesser und Astrolabien jenem großartigen Ränkeschmied, dem sämtliche Staaten nach der Pfeife zu tanzen hatten, zwangsläufig vertraut vorkommen mußten. Was war denn halb Europa, wenn nicht ein von ihm justiertes Räderwerk?
›Habt Ihr das alles selbst gemacht?‹ fragte ich Turriano dann voller Bewunderung und deutete auf eine Planetenuhr.
|191| ›Alles, von den astronomischen Berechnungen bis zur Arbeit an der Esse und dem Zuschnitt der Teile.‹
Turriano hatte die Uhr nun fertig aufgezogen, und nachdem er überprüft hatte, daß deren Federn wirklich ganz gespannt waren, zog er den Schlüssel heraus. Dann versuchte er, dasselbe mit einem kleinen metallenen Püppchen zu machen, einer Dame mit Mandoline.
›Das ist eine Figur, die ich schon vor langer Zeit angefertigt habe‹, erklärte er mir. ›Ein Jammer, daß sie kaputtgegangen ist. Wenn ich sie einmal repariert habe, wird die Dame wieder wie früher tanzen und spielen.‹
In diesem Augenblick sah ich die Hand aus Metall.
›Ist das auch Euer Werk? So etwas habe ich bisher nur ein einziges Mal in meinem Leben gesehen.‹
›Da Ihr aus Brüssel kommt, meint Ihr sicher Artal de Mendozas Hand. Die habe ich ebenfalls angefertigt‹, erklärte Turriano, ›aber ich bereue es außerordentlich. Sie ist aus reinem Silber, und ich warte bis heute auf meine Bezahlung.‹
›Und wie funktioniert sie?‹
›Es sieht komplizierter aus als es ist, wenn man den Mechanismus erst einmal begriffen hat‹, versicherte er, während er die Abdeckung der Hand hob, um mir die Gelenke zu zeigen, die die Metallfinger hielten. ›Alles hängt an diesen Rädchen, die die Befestigung am Fleisch dämpfen und regulieren sollen. Sie arbeiten wie ein Steigrad.‹
›Wie die Hemmung einer Uhr?‹
›So ist
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