Kryptum
dem Monarchen beschuldigt, war das geschmähte Möbelstück in eine Ecke verbannt worden. Es sah aus wie ein gewöhnlicher Armsessel mit Ledersitz, doch hatte es einige nicht sonderlich vertrauenswürdig wirkende Extras. Die Rückenlehne ließ sich nach hinten klappen, während sich zur gleichen Zeit seitlich zwei mit ihr verschraubte Bretter nach oben bewegten, um als Fußstützen zu dienen. Dafür mußte Karls hinfälliger Körper eigentlich höchst dankbar sein, wenn seine Gelenke wieder einmal steif wurden.
Zumindest solange der Mechanismus funktionierte. Denn nun klemmte er. Juanelo Turriano winkte mich herbei und bat mich, die mitgebrachten Gerätschaften auf dem Boden abzustellen und ihm zu helfen, den schweren Sessel zu einem der Fenster zu schieben, wo er im Mittagslicht sämtliche Scharniere überprüfte. Anschließend setzte er sich in den Sessel und drückte mit dem ganzen Gewicht seines massigen Körpers die Lehne nach hinten, während er gleichzeitig die beiden Hebel unter den Armstützen umlegte, damit die Rückenlehne nachgab und er sich der Länge nach ausstrecken konnte.
Der Kaiser hatte den Rosenkranz weggelegt und verfolgte aufmerksam das Hantieren des Uhrmachers. Zwischendurch nahm er einen Schluck von dem Bier und kraulte den Hals des Hundes, der sich knurrend erhoben hatte und uns wachsam beäugte, so daß ich schon dachte, das Tier würde sich gleich auf mich stürzen. Aber ich täuschte mich; nicht meine Angst war es, die das Tier witterte, sondern das bevorstehende Unheil |197| : Turriano war beim Verstellen der Lehne so grob vorgegangen, daß der Sessel Übergewicht bekam, nach hinten überkippte und der Uhrmacher unter großem Gepolter und lautem Hundegebell zu Boden stürzte.
Der Lärm wirkte wahre Wunder: Der Kaiser brach in schallendes Gelächter aus, und augenblicklich war die düstere Stimmung, die uns alle bedrückt hatte, verflogen. Turriano fluchte derweil laut auf italienisch; er war wütend auf sich selbst, daß er sich so ungeschickt angestellt hatte. In diesem Moment nahm mich der Kaiser zum ersten Mal bewußt wahr, und er bemühte sich, wieder eine ernsthafte Miene aufzusetzen.
Als er merkte, daß sein Gebieter mich fragend ansah, nannte ihm Turriano meinen Namen, ließ es aber vorerst bei folgender Erklärung bewenden:
›Er war in meiner Werkstatt und wartete auf mich, deshalb habe ich ihn gebeten, mich als Gehilfe zu begleiten.‹
Karl V. mußte sich ein wenig gedulden, bis wir den Sessel repariert hatten. Turriano ließ sich von mir das Werkzeug reichen, um damit die Lehne richtig zu justieren, und nachdem er den Mechanismus erneut – und diesmal erfolgreich – ausprobiert hatte, forderte er den Kaiser auf, es sich in seinem Sessel bequem zu machen. Was dieser dann auch erleichtert tat. Alsdann schickte der Uhrmacher sich an, ihm seine neueste Erfindung zu zeigen, weshalb er mich bat, ihm die Gerätschaften zu bringen, die er mir in seiner Werkstatt in die Hand gedrückt hatte.
›Eure Majestät, mit dieser Vorrichtung könnt Ihr fortan im Wasserbassin angeln. Und das, ohne Euch von der Stelle rühren zu müssen, von diesem Sessel aus, der Eure Leiden doch um einiges erträglicher macht.‹
Karl V. widmete sich der Erprobung der neuen Angelrute mit kindlichem Entzücken. Er vergewisserte sich, daß das Wasser des Beckens, das sich unter seinem Fenster erstreckte, tatsächlich auch erreichbar war, jedoch wurde es ihm schon bald etwas kalt, und als sein Sekretär, Martín de Gaztelu, hereinkam, hieß er ihn das Fenster schließen.
|198| ›Eure Majestät‹, verkündete der Sekretär, ›soeben hat man den mit Brot gemästeten Hammel gebracht, mit dem Euch der Prior des Klosters von Guadalupe jede Woche beschenkt. Solltet Ihr nichts anderes verfügen, wird er Euch am Sonntag zum Mittagessen serviert werden.‹
Der Kaiser gab mit einem Wink seine Zustimmung, worauf Gaztelu zum nächsten Punkt überging.
›Der Kurier, den Eure Schwester Katharina aus Portugal schickt, ersucht Euch, empfangen zu werden.‹
›Was würde nur aus mir werden ohne meine Schwestern?‹ murmelte der Kaiser und nickte beifällig.
Der Bote kam herein und legte die Sendungen auf den Tisch neben ihn. Das Geschenk, das dem Monarchen von allen am meisten Freude bereitete, war ein lustiges schwarzes Kätzchen mit riesigen goldgelben Augen, das in seinem Weidenkörbchen unablässig miaute und kratzte, weil es herausgehoben werden wollte. Karl V. befahl, den Hund hinauszubringen, und öffnete
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