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Kryptum

Kryptum

Titel: Kryptum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agustín Sánchez Vidal
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wir warten, bis er gegessen und sein Mittagsschläfchen |194| gehalten hat. Gegen drei Uhr wird er wieder auf sein, dann sollten wir ihn aufsuchen. Bis dahin wird sich seine Stimmung wieder aufgehellt haben.‹
    ›Aber Meister Turriano‹, rügte ihn da der Arkebusier, ›Seine Majestät hat nach Euch verlangt.‹
    Der Uhrmacher nickte verdrossen. Er sah sich suchend um, bis er plötzlich einen Geistesblitz zu haben schien; vielleicht überkam ihn aber auch eine Anwandlung von Kühnheit, was bei jemandem von so schüchternem Naturell äußerst selten vorkommt. Jedenfalls drückte er mir einige Gerätschaften in die Hand und befahl dann:
    ›Haltet das gut fest und kommt mit.‹
    ›Aber …‹
    ›Keine Widerrede! Ihr werdet Seiner Majestät jetzt die Botschaft übergeben und sie ihm persönlich erläutern.‹
    ›Ist das nicht etwas überstürzt? … Und … und wenn er mich nicht anhören will?‹ stammelte ich.
    ›Juanelo hat recht‹, redete Herrera mir nun gut zu. ›Ihr solltet die Gelegenheit beim Schopfe packen.‹
    Wir traten also auf den Kreuzgang hinaus und lenkten unsere Schritte zu dem Gang, der das eigentliche Kloster mit den Gemächern des Herrschers verband. Auf dem Weg dahin gab mir Herrera noch einige eilige Ratschläge, wie ich mich am Hof zu benehmen hatte, und fügte zum Schluß noch eine Warnung hinzu.
    ›Seine Majestät ist nicht immer guter Laune. Und nach dem, was ich diesen Vormittag beobachten konnte, ist heute so ein Tag, an dem man nicht voraussagen kann, in welcher Gemütsverfassung er anzutreffen ist.‹
    ›Wäre es deshalb nicht besser, bis zum Nachmittag zu warten?‹ schlug ich besorgt vor. ›Dann wird er …‹
    Turriano unterbrach mich entschieden.
    ›Nein! Außerdem sind wir schon da. Kommt mit hinein und haltet Euch im Hintergrund, bis ich Euch bedeute, was Ihr tun sollt.‹
    Er klopfte an die Tür, wartete die Antwort ab und trat ein. |195| Da ich Anstalten machte, im letzten Moment mein Heil in der Flucht zu suchen, gab Herrera mir einen Schubs und schloß schnell die Tür hinter mir, so daß ich gezwungen war, Turriano zu folgen.
    Nun denn, die Würfel sind gefallen, dachte ich und drückte mich in eine Ecke, von wo aus ich den Kaiser unauffällig beobachten konnte. Mit gekrümmtem Rücken saß er an einem Fenster auf einem mit rotem Samt bezogenen Sessel, eine Decke über den Knien. In Reichweite stand ein Krug mit eisgekühltem Bier, das, wie ich hinterher erfuhr, ein Braumeister für ihn herstellte, den er aus deutschen Landen eigens dafür mitgebracht hatte. Ich musterte sein eckiges Gesicht, den breiten, vorspringenden Kiefer mit den wenigen Zähnen, die ihm noch geblieben waren, die totenblasse Haut. Seine blutleeren Lippen waren beinahe so weiß wie der Bart und die tiefliegenden Augen rot unterlaufen. Nur die kräftige Nase schien dem allgemeinen Verfall seines Antlitzes zu trotzen.
    Karl V. hatte sich umgedreht, als Turriano in das Gemach kam. Meine Anwesenheit hatte er indes kaum zur Kenntnis genommen. Zu seinen Füßen döste eine Dogge, die bei unserem Eintreten den Kopf gehoben hatte, der nun wieder auf der Fußbank ruhte, welche eigentlich den Gelenken des alten Monarchen Erleichterung verschaffen sollte. Der gichtgeplagte Kaiser versuchte derweil, seine Schmerzen zu vergessen, indem er einen vortrefflichen Rosenkranz aus Kaisererle mit fünf filigranen goldenen Perlen für die Vaterunser durch die Finger gleiten ließ. Trotz der Kurzatmigkeit und der schwachen Stimme des Kaisers entging mir der spöttische Unterton seiner Worte nicht.
    ›Juanelo! Sagt, lassen sich Eure Uhren denn nicht so stellen, daß sie allesamt zur gleichen Zeit schlagen? Wenn so etwas dem besten Uhrmacher der Welt passiert, was kann ich dann von meinen übrigen Höflingen erwarten?‹
    ›Wozu braucht Ihr denn all die Tunichtgute?‹ fragte Turriano schelmisch zurück, der den Unwissenden spielte. Doch der Kaiser zeigte sich nicht gewillt, auf seine Späße einzugehen, |196| war es um seine Laune doch nicht zum besten bestellt. Der Uhrmacher zog bedauernd die Schultern hoch – was mir zur Warnung diente, unter keinen Umständen näher zu treten – und hörte sich dann geduldig an, warum Karl V. ihn zu sich gerufen hatte. Der Kaiser jammerte über seine Hämorrhoiden, die wieder zu bluten begonnen hatten, was er dem Sessel zuschrieb, den sein Uhrmacher ihm zur Linderung seiner Leiden gebaut hatte und auf den der Kaiser nun anklagend deutete.
    Des Aufstands und der Untreue gegenüber

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