Kryptum
|211| von ihrer Verzweiflung, die Mutter in Gefahr zu wissen, überwältigen lassen?
Durch das dicke Sicherheitsglas beobachtete David, wie Bealfeld jetzt den dritten Umschlag aus seiner Lederaktentasche zog. Er sah, wie Minspert sich die Brille aufsetzte, ihn öffnete und Saras Brief zu lesen begann. Zweimal rückte er die Brille zurecht, als könne er seinen Augen nicht trauen. Als er fertiggelesen hatte, schüttelte er energisch den Kopf.
Da er die Antwort des Kommissars nicht verstehen konnte, studierte David nun sein Gesicht, vor allem die Stirn, die sich in Falten gezogen hatte, was nichts Gutes verhieß, und auf der nun eine dicke Ader hervortrat, wie ein Blitz, der sich seinen Weg zwischen dunklen Wolken bahnt. Seine Geduld wurde zweifellos auf eine harte Probe gestellt. Deshalb war David nicht überrascht, als er sah, wie Bealfeld die Zähne zusammenbiß und dann – ohne Rücksicht darauf, daß alle Welt ihn hören konnte – mit lauter Stimme sprach.
»Sie werden uns diese Dokumente sehr wohl aushändigen, Mr. Minspert! Und die beiden da draußen kommen mit! Ms. Toledano wird dieses Depot ihrer Familie auflösen und Mr. Calderón die Echtheit der Dokumente beglaubigen. Entweder kommen sie mit mir, oder Sie können Ihre verdammte Kennkarte auf der Stelle zurückhaben. Über die Konsequenzen Ihres Verhaltens muß ich Sie ja hoffentlich nicht aufklären.«
Er zog seine
Privileged-Visitor-Card
über den Kopf und drückte sie dem NS A-Agenten resolut in die Hand. Minspert zuckte zusammen und sah sich instinktiv um, ob sie jemand gehört hatte. Dann bat er ihn mit leiser Stimme:
»Verdammt noch mal, Mr. Bealfeld, machen Sie mir hier bloß keine Szene! Sie und ich, wir haben uns beide an die Vorschriften zu halten. Das hier«– er schwenkte Saras Vollmacht –»weist alle nur vorstellbaren Formfehler auf. Und die Agency ist kein Polizeirevier auf dem Dorf, wo die Nachbarn einfach so vorbeischauen können, damit ihnen ihre Knöllchen erlassen werden.«
|212| »Diese Vorschriften können Sie ja dann dem Weißen Haus näher erläutern, wenn man Sie um eine Stellungnahme bitten wird«, erwiderte Bealfeld knapp und wandte sich zum Ausgang.
James Minspert packte ihn am Arm. Er versuchte seinen Zorn zu unterdrücken.
»Also gut, meinetwegen können die beiden mitkommen.« Mit einer Geste, die wohl versöhnlich sein sollte, gab er Bealfeld den Besucherausweis zurück. »Da ich dies aber für absolut regelwidrig halte, wird uns ein Sicherheitsbeamter begleiten. Er wird uns als Zeuge dienen.«
Minspert verschwand hinter einer Tür. Es dauerte eine ganze Weile, bis er zurückkam, in Begleitung eines Offiziers mit steinerner Miene, der ein dickes Buch in der Hand trug.
Bealfeld hatte sich in der Zwischenzeit wieder zu Rachel und David gesellt. Letzterer hatte das Gefühl, sie aufklären zu müssen:
»Das Telefonbuch, das der Typ da in der Hand hat, ist der Vorschriftenkatalog der NSA. Wenn alle Regeln darin streng befolgt werden, werden Sie den Flieger nach Spanien verpassen.«
»Wir werden ihn nicht verpassen, wenn Sie mitziehen, David. Es ist unsere einzige Chance, die Dokumente in die Hand zu bekommen!« bat der Kommissar flehentlich.
David kämpfte gegen seine Zweifel an. Es waren die denkbar schlechtesten Bedingungen für eine Rückkehr in die Agency. Aber etwas war dran an dem, was Bealfeld sagte: Es würde keine bessere Gelegenheit geben. James’ Hartnäckigkeit, ihm den Zutritt zu verwehren, stellte einen zusätzlichen Anreiz dar. Also beschloß er, sich Bealfeld und Rachel anzuschließen, die bereits die Kontrollschranke passiert hatten.
Nachdem Minspert die junge Frau begrüßt und den Sicherheitsbeamten angewiesen hatte, vorauszugehen und den Besuchern den Weg zu zeigen, nahm er David unwirsch beiseite.
»Sehr zu meinem Leidwesen hast du es geschafft, hier reinzukommen |213| . Welchem Umstand haben wir diese Ehre zu verdanken?«
Der Boden der Empfangshalle war mit dem riesigenWappen der Agency verziert. David blieb auf dem Kopf des goldenen Adlers stehen.
»Ich wollte sehen, wie es dir und deinem Magengeschwür geht.«
»Wir beide sind entzückt, dich wiederzusehen. Ich dachte eigentlich, du verstehst dich nicht sonderlich gut mit der Presse«, entgegnete Minspert zynisch und deutete mit dem Kopf auf Rachel.
»Ah, das macht dir Sorgen! Ruhig Blut, sie ist ausschließlich wegen ihrer Mutter hier, nicht als Journalistin. Außerdem macht sie gerade ein Sabbatical. Und sie ist eine der wenigen
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