Kryson 02 - Diener des dunklen Hirten.epub
muss nach einem Unfall aussehen, um keinen Verdacht zu erregen. Entscheide selbst, wie du vorgehen willst, wenn sich eine günstige Gelegenheit ergibt. Aber enttäusche uns nicht.«
Thezael reichte Henro die kristallene Phiole mit einer klaren, rötlich schimmernden Flüssigkeit darin, die dieser sogleich in seiner Robe verschwinden ließ.
»Die Bewahrer werden gegen uns sein«, wandte Henro ein.
»Sie sind keine Gefahr«, meinte Thezael, »und im Augenblick viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, um uns ernsthaft in die Quere zu kommen. Boijakmar ist alt und ein Opportunist, Madhrab erledigt, Kaysahan wohl vernichtet und Chromlion ist ein eingebildeter Hohlkopf, der noch weniger Verstand besitzt als sein verblichener Vater. Der Stolz macht ihn berechenbar. Ich werde ihn gut kontrollieren können, wenn er erst einmal im Palast in meiner Nähe verweilt.«
»Gut, dann werde ich nach Eisbergen gehen. Was schätzt du, wie lange ich dortbleiben muss?«, fragte Henro.
»Zwei, vielleicht drei Sonnenwenden. Länger nicht«, versuchte Thezael den Ordensbruder zu beruhigen. »Du wirst gleich morgen aufbrechen. Vielleicht schaffst du es noch, am Choquai-Pass anzukommen, bevor der Winter zu Ende ist. Wenn du dich beeilst, wirst du mit einer der ersten Karawanen nach der Öffnung des Choquai über den Pass gehen können. Und nun hilf mir endlich, den Fürsten für den letzten Gang vorzubereiten.«
Henro besorgte eine große Bahre in einer der nahe gelegenen Kammern, auf die sie den Leichnam des Fürsten wuchteten. Dann wuschen sie ihn und rieben jede Stelle der Haut mit Salz ein, bevor sie mit der Leibesöffnung begannen. Jeder Handgriff saß. Die beiden Praister gehörten unbestritten zu den besten Präparatoren des Kontinents Ell. Ihre Arbeit verrichteten sie schweigend. Sie mussten sich nicht ein einziges Mal ansehen, um zu wissen, welcher Handgriff als Nächstes kam.
Thezael beherrschte den Keilschnitt wie kaum ein anderer unter den Praistern und hatte den Leichnam im Nu geöffnet, um dessen Organe in Windeseile von Henro entfernen zu lassen. Während Henro den Kopf des Toten hielt, zog Thezael das Gehirn mit einem langen Eisenhaken durch die Nase heraus. Anschließend füllten sie den auf diese Weise von sämtlichen Innereien befreiten Körper mit einem eigens von den Praistern nach einem Geheimrezept für die Präparation hergestellten Ölgemisch, gaben Karbolsäure hinzu und stopften den vorbereiteten Hohlraum mit getrockneten Kräutern und Holzspänen aus. Henro nähte den Fürsten anschließend wieder zu. Zum Abschluss überzogen sie die Haut des Präparierten mit einem Harzgemisch.
»Sehr gute Arbeit, Henro«, lobte Thezael seinen Ordensbruder, nachdem sie ihr Werk noch einmal eingehend begutachtet hatten.
»Das Kompliment gebe ich gerne zurück, mein Bruder«, antwortete Henro lächelnd, »du darfst dich wahrlich einen Meister der Wegbereiter zu den Schatten nennen.«
Sie nickten sich anerkennend zu und ließen die Toten in der Kammer zurück, um für die bevorstehende Totenmesse in das traditionelle Gewand zu schlüpfen und das während der Zeremonie notwendige Opfer für die Kojos vorzubereiten.
Die Begräbnis-Zeremonie begann pünktlich mit Einsetzen der Tsairu. Als sich das tiefe Rot der Mittagsdämmerung über die weiß getünchten Häuser und Mauern der Stadt legte und die Kristalle des Palastes die Farben der sich verdunkelnden Sonnen in sich aufnahmen, funkelnd und rot aufblitzend widerspiegelten, wurden in den Straßen der Stadt und auf allen öffentlichen Plätzen gleichzeitig Fackeln entzündet.
Die Nno-bei-Klan waren zahlreich aus ihren Häusern gekommen, jeder von ihnen trug eine Fackel in Händen, um dem Begräbnis ihres Regenten beizuwohnen. Haluk Sei Tans letztem Gang zu den Schatten. Sie hielten ihre Geschäfte an diesem denkwürdigen Tag geschlossen und säumten nun die Straßen Tut-El-Bayas bis zum Marktplatz im Zentrum der Stadt. Nach der Eröffnung der Zeremonie durch den obersten Praister und der Darbringung des Opfers für die Toten sollte die Prozession vom Marktplatz beginnend durch die Straßen Tut-El-Bayas über die Gartenterrassen bis zum Kristallpalast in die weit unter dem Palast gelegene Halle der Toten führen. Die Prozession durfte mehrere Horas in Anspruch nehmen. Selbst die Türen der Wirtshäuser würden sich erst nach Abschluss der Feierlichkeiten den dann durstigen und hungrigen Gästen wieder öffnen.
Auf den Marktplatz war die größte Menge der Schaulustigen
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