Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
eine Miene zu verziehen.
»Bei allen Kojos«, fuhr Henro entsetzt auf, »wie kommt Ihr denn darauf?«
»Es war nur so ein Gefühl«, erklärte der Fürst seinen Verdacht, »Ihr seid ein Praister, und mein Vorhaben dürfte Thezaels und damit auch Euren Plänen nicht entgegenkommen.«
»Mein Fürst …«, Henro tat entrüstet, »wir würden doch niemals …«
»Nein?«, unterbrach ihn Corusal. »Mir kam anderes zu Ohren. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Praister die Geschicke nach ihren Vorstellungen durch einen Giftanschlag lenkten.«
»Aber mein Herr, das sind üble Verleumdungen und Gerüchte. Ein solcher Anschlag wurde niemals bewiesen.«
»Stimmt! Aber die schändlichen Taten wurden auch nicht dementiert, oder täuscht mich mein Wissen in dieser Hinsicht?«
Das Gespräch nahm einen Verlauf, den Henro nicht vorausgesehen hatte. Sich überraschend rechtfertigen zu müssen, darauf hatte er sich nicht vorbereitet. Es wurde brenzlig und er geriet aufgrund der drängenden Fragen des Fürsten gehörig ins Schwitzen. Er tastete mit der Hand unter sein Gewand und bekam die Phiole mit dem restlichen Gift mit zitternden Fingern zu fassen. Er hatte keine Wahl. Jetzt musste es sein. Vorsichtig entfernte er den Deckel und umschloss das Gefäß mit der gesamten Hand.
»Was haltet Ihr unter Eurer Hand versteckt? Einen Dolch? Los, seid ein Mann und zeigt mir Eure wahren Absichten!«, setzte Corusal den Praister unter Druck.
Henro zählte bis drei und atmete zwischen jeder Zahl deutlich wahrnehmbar durch. Sein Blick fixierte den Fürsten, der sich beschwörend mit dem Oberkörper über den Tisch gebeugt hatte. Ihre Gesichter waren vielleicht drei Handbreit auseinander. Es war gerade so, als fordere er den Praister zu der Tat heraus. Eins … zwei … und …
Henro zögerte einen Augenblick. Es war zum Verzweifeln. Sollte er die Phiole auf drei werfen oder erst nachdem er bis drei gezählt hatte? Er entschied sich für die letzte Variante und begann von vorne zu zählen.
Eins … zwei … drei! Ruckartig zog er die Hand aus dem Gewand und warf Corusal die Phiole ins Gesicht. Das Glas zersprang durch die Wucht des Aufpralls und die Flüssigkeit verteilte sich auf dem Gesicht des Fürsten, rann ihm über die Nase und die Lippen. Das Gift verdunstete sofort durch die Wärme auf der Haut des Fürsten. Corusal hatte keine Möglichkeit, sich dagegen zu wehren. Durch die Nase drang das tödliche Gift über die Atemwege in seinen Körper. Einige Tropfen gelangten über die Lippen in den Mund. Corusal musste unweigerlich schlucken. Die lähmende Wirkung des Giftes erfasste den Fürsten nur wenige Augenblicke später. Er rang nach Atem und seine Hände krampften sich um die Brust über dem Herzen zusammen. Die Augen traten hervor und seine Lippen wurden vor Atemnot bereits blau.
»Feig…ling«, stieß Corusal keuchend hervor, auf seinem Gesicht standen Überraschung, Enttäuschung und Schmerz zugleich.
»Es tut mir leid«, flüsterte Henro, der Tränen in den Augen hatte, »Euer Verdacht war richtig. Aber Ihr habt mir keine andere Wahl gelassen. Ich wünsche Euch eine gute Reise zu den Schatten.«
Der Kopf des Fürsten fiel vornüber auf den Tisch. Corusals Gesicht landete inmitten eines halb aufgegessenen Tellers mit Fischresten. Seine Hände hatten sich inzwischen in die Stuhllehnen verkrampft. Der Praister wollte nicht warten, bis der Todeskampf des Fürsten zu Ende war. Der Gang zu den Schatten würde noch einige Momente dauern, war jedoch durch nichts und niemanden mehr aufzuhalten. Rasch sprang Henro auf und beseitigte behutsam und penibel die zerbrochenen Glasteile der Phiole. Einen letzten Blick auf den verzweifelt nach Atem und das Leben ringenden Fürsten werfend, verließ Henro eilends die Kammer. Die Wachen vor der Tür schöpften zu seinem Glück keinen Verdacht, denn der Kampf des Fürsten gegen die Schatten lief lautlos ab. Die Lähmung hinderte ihn daran, Hilfe herbeizurufen, selbst wenn diese ohnehin nutzlos geblieben wäre.
Henro musste sich setzen und durchatmen, als er seine Kammer erreicht hatte. Sein Herz schlug bis zum Hals. Er hatte das Attentat tatsächlich vollbracht. Thezael würde zufrieden sein. Nun galt es, seine Sachen in einem Bündel zusammenzupacken, den Palast und Eisbergen auf dem schnellsten Wege zu verlassen. Bestimmt würden ihn die Eiskrieger verdächtigen. Aber er verspürte keinerlei Bedürfnis, sich ihren Befragungen auszusetzen.
Als der Praister sein Bündel geschnürt hatte,
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