Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
befanden sich lediglich noch ein weiteres Fass mit hart gebackenen Keksen und eine Kiste mit Trockenfleisch auf dem Boot. Mehr gab es auf dem Fischerboot nicht zu sehen. Der Eiskrieger schien offenbar ohne Instrumente und Karten auszukommen.
»Wir gehen auf die Jagd«, erklärte Baylhard sein Vorhaben, »das mache ich, wenn ich den Verlust eines geliebten Freundes betrauere.«
Henro dachte, der Eiskrieger habe den Verstand verloren. Dessen Blick war leer und seine Worte wirkten düster und unverständlich auf den Praister. Unsanft wurde er auf den Schiffsboden geworfen und an Händen und Füßen gefesselt. Baylhard legte ab und steuerte das Boot mit sicherer Hand aus dem Hafen auf die hohe See des Ostmeeres hinaus.
Nach ihrer Fahrt aus dem Hafen, als der Eiskrieger das Segel gesetzt und das Boot in den Wind gebracht hatte, nahm er neben dem Praister Platz und genehmigte sich einen Schluck Wasser, Kekse und ein Stück Trockenfleisch. Mit einem kritischen Seitenblick auf den Gefesselten warf er diesem ebenfalls etwas zu essen vor die Füße. Henro hatte Mühe, das kärgliche Mahl im gefesselten Zustand aufzunehmen, und setzte sich daher auf.
»Das wird Euer letztes Mahl sein«, sagte der Eiskrieger trocken, »genießt die Bissen. Eure Reise zu den Schatten wird lang und unangenehm werden.«
»Was habt Ihr vor?«, wagte Henro die Frage, die ihn bereits drängte, seit er den Eispalast auf den Schultern des Eiskriegers verlassen hatte.
»Ich sagte Euch bereits, dass wir auf die Jagd gehen. Ihr und meine Wenigkeit. Ihr seid der Köder, den ich brauche, um einen prächtigen Moldawar anzulocken.«
»Ihr wollt mich an die Raubfische verfüttern?« Henro wurde blass um die Nase, und das wurde nicht durch das ungewohnte leichte Schaukeln des Bootes auf den Wellen veranlasst.
»An die Schrecken des Meeres. Aye, Ihr habt es erfasst«, meinte Baylhard.
»Das dürft Ihr nicht machen! Ich bin ein getreuer Diener der Kojos und der Schatten. Ihr werdet Ihren Zorn auf Euch ziehen«, versuchte Henro seine Haut zu retten.
»Unsinn«, entgegnete Baylhard dem Einwand des Praisters, »sie werden es mir danken, dessen bin ich mir gewiss. Wenn ich dazu beitragen kann, ein Übel weniger in diesen Landen bekämpfen zu müssen, umso besser.«
»Ihr seid vollkommen wahnsinnig!«, schrie Henro.
»Ich bin ein Eiskrieger und Moldawarjäger, Praister. Der Wahnsinn steckt in uns allen, in unserem Land, dem Krieg, den Katastrophen, der Macht und in Kryson. Ihr seid ein Mann der Schatten, der Schlechtes getan hat, und ich helfe Euch, ihnen schon bald näher zu sein. Mehr ist es nicht. Nehmt es als eine Ehre. So erfüllt Ihr wenigstens am Ende noch einen guten Zweck und landet im hungrigen Magen eines Fisches, der mir wiederum reiche Beute sein wird und mein Gleichgewicht finden lässt.«
»Tötet mich hier und jetzt, wenn Ihr meint, mich für Eure Genugtuung töten zu müssen, aber werft mich nicht diesen Monstern zum Fraß vor. Ich flehe Euch an!«, bettelte Henro um einen gnadenvollen Tod.
»Das wäre nicht dasselbe«, erwiderte Baylhard. »Ihr seid keine Herausforderung für mich, Praister. Ihr seid schwach, umso unfassbarer ist die Tatsache, dass es Euch gelang, den Fürsten heimtückisch zu ermorden. Einen Feigling wie Euch zu töten, wäre zu einfach. Hingegen einen ausgewachsenen Moldawar zu jagen, ihm Auge in Auge im Kampf gegenüberzutreten und ihn am Ende in einem fairen und gleichen Kampf zu besiegen, ist ehrenvoll. Ihn kann ich als Gegner respektieren, Euch jedoch nicht. Erst wenn es mir gelingt, denjenigen Moldawar zu erlegen, der den verräterischen Mörder Corusals auffraß, werde ich die Ehre des Fürsten wiederhergestellt haben und zufrieden nach Eisbergen heimkehren können.«
Henro schüttelte resignierend den Kopf. Es hatte keinen Zweck, den Eiskrieger überzeugen zu wollen, der seine ganz eigenen Vorstellungen von Tod und Ehre hatte. Der Praister würde den Antrieb der Eiskrieger niemals verstehen. Was nutzte es ihm, sich jetzt noch Gedanken darüber zu machen. Er war dem Tod geweiht, aber auf diese Weise zu sterben mutete ihn grausam an. Das hatte er nicht verdient. Immerhin hatte er das Attentat für Thezael und die Kojos verübt. Aber vielleicht musste er sich als Diener der Kojos damit abfinden und als Märtyrer für die große Sache in das Reich der Schatten einziehen. Vielleicht gab es dort zu seiner Begrüßung ein Freudenfest mit Tanz. Dieser Gedanke gefiel Henro, auch wenn er letztlich nicht geeignet war, ihm
Weitere Kostenlose Bücher