Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
zermalmen und ein dumpfer Schmerz durchzuckte seinen Arm von der Hand aufwärts. Aber er biss die Zähne mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen und ließ nicht mehr locker.
»Hier bin ich«, vernahm der Lordmaster die ihm zutiefst verhasste Stimme des Foltermeisters.
»Feige wie eh und je«, antwortete Madhrab, der in der Dunkelheit des Verlieses mehr als nur einen Schemen seines Gegners zu erkennen versuchte. »Kein sehr ehrenwerter Versuch, unsere persönliche kleine Auseinandersetzung zu beenden.«
»Ihr seid ein Bewahrer. Wie sollte ich Euch da im offenen Kampf begegnen? Ehre ist ein oft falsch verstandener Begriff, Lordmaster. Am Ende zählt das Ergebnis und sonst nichts«, meinte Sick, der sich am anderen Ende der Eisenstange, so gut es ging, im Dunkeln versteckt hielt und das spärliche Licht der Fackeln geschickt zu vermeiden suchte.
»Zeigt Euch!«, befahl Madhrab. »Das Versteckspiel ist zu Ende. Ihr wisst genauso gut wie ich, dass es keinen anderen Ausweg gibt. Einer von uns beiden muss sterben, damit der andere Ruhe findet.«
»Aye«, meinte Sick, »ich stimme Euch zu. Und dieser eine werdet Ihr sein, Madhrab. Aber bevor ich Euch endlich den Schatten näher bringe, müsst Ihr mir verraten, was aus meinem Sohn geworden ist. Was habt Ihr mit ihm gemacht?«
Sick ließ die Eisenstange los und stellte sich so unter das Licht einer Fackel, dass Madhrab die zerstörte Fratze des Foltermeisters im Lichtschein erkennen konnte. Die Lippen waren vollständig weggefressen worden, weshalb er Mühe beim Sprechen hatte. Während er sprach, troff ihm der Speichel aus dem Mund. Zwar waren die Wunden verheilt, aber das Antlitz Sicks wirkte auf den Lordmaster grotesk. Er konnte die offen liegenden Zähne und das Zahnfleisch erkennen. Die Augenlider waren den Teroch ebenfalls zum Opfer gefallen. Gewiss litt Sick immer noch Qualen, was unschwer an den ständig tränenden und stark entzündeten Augen zu erkennen war. Es musste ihm schwerfallen, mit dauernd geöffneten und brennenden Augen in den Schlaf zu finden. Überhaupt war das Gesicht des Foltermeisters eine einzige bis auf ihre Grundfeste verwüstete Ruine. Die gefräßigen Käfer hatten ganze Arbeit geleistet.
»Ich habe ihn aus dem Verlies mitgenommen und Madsick ein anderes Leben gezeigt. Eines, in dem er nicht bis zu seinem Tod in der muffigen Dunkelheit dieses Labyrinthes verbringen muss. Das hat er nicht verdient. Er ist ein besonderer Junge mit außerordentlichen Talenten.«
Das auf die Bemerkung des Bewahrers folgende verrückte Lachen des Foltermeisters irritierte Madhrab gewaltig.
»Ihr habt ihn tatsächlich mit nach draußen genommen?«, fragte Sick, nachdem er sich von seinem Lachanfall wieder einigermaßen erholt hatte.
»Sehr wohl«, antwortete Madhrab, »ich schenkte ihm die Freiheit.«
»Ihr habt keine Ahnung, nicht wahr?«, provozierte Sick den Lordmaster. »Wäre es im Grunde nicht so schrecklich und verheerend, könnte ich mich über Eure Dummheit totlachen.«
»Wovon sprecht Ihr? Erklärt Euch«, verlangte Madhrab barsch.
»Madsick ist wie ein Vulkan, der kurz vor seinem Ausbruch steht und alles unter seiner Asche und dem glühenden Wurm aus Erde, Stein und Erzen begräbt, was sich ihm in den Weg stellt oder nicht schnell genug entfliehen kann. Mein Sohn ist in Freiheit die vielleicht größte Gefahr und Katastrophe, die Ell je gesehen hat. Habt Ihr tatsächlich angenommen, es gäbe keinen Grund dafür, dass ich den Jungen im Verlies aufgezogen und festgehalten habe. Zutrauen würde ich Euch einen solchen Gedanken durchaus. Aber ich dachte, Ihr wärt weitaus klüger und hättet ihn längst durchschaut. Hier im Labyrinth und nur hier unter dem Haus des hohen Vaters war er sicher. Vor sich selbst und anderen. Und er war keine Gefahr für Kryson. Durch ihn habt ihr dem Herrn der Grube eine einzigartige Gelegenheit gegeben, der Grube und dem Verlies zu entfliehen, durch Madsicks Augen zu sehen und zu lernen. Er wird die Erfahrungen nutzen, um sich zu befreien und Kryson mit seinem Hass und unersättlicher Mordlust zu überziehen, die er sich aus Tausenden Gedanken vieler Mörder ersonnen hat.«
»Er ist Euer Sohn. Wie könnt Ihr so über ihn sprechen?«, warf Madhrab ein.
»Tatsächlich, er ist von meinem Fleisch und Blut. Trotzdem war er immer anders, und seit seiner Begegnung mit dem Herrn der Grube war er nicht mehr mein Sohn. Ich hätte ihn töten sollen, nachdem er aus der Grube zurückgekehrt war …«, – Sick unterbrach seine
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