Kryson 03 - Zeit der Dämmerung
durchbohren und mit einem einzigen Schluck leer saugen. Fürwahr, ich kann mir angenehmere Gesellschaft und vor allem ein schöneres Ende vorstellen.«
»Komm mit mir, Goncha. Ich werde dich beschützen, sollten sie dir zu nahe kommen. Die meisten von ihnen werden aber ohnehin schon fort sein, bevor wir dort sind. Vielleicht haben sie ein paar wenige Wachen und Kriecher zurückgelassen, die wir gemeinsam erledigen werden. Siehst du die schwarze Sonne? Der Zauber des dunklen Hirten wirkt bereits. Die Zeit der Dämmerung hat begonnen und Quadalkar zieht aus, seine alten Todfeinde, die Bewahrer, zu vernichten und die Klanlande für seinen Herrn zu unterwerfen. Sollte es ihm und seinen Kindern gelingen, die Bewahrer zu zerschlagen, stünde seinem übrigen Siegeszug nichts mehr im Wege. Ell würde sich nachhaltig verändern. Die Bluttrinker werden nicht an die alte Stätte zurückkehren. Von Beginn an war die Burg nur ein Gefängnis für sie und keine Heimat. Nach Sonnenwenden des Fluchs streben sie nach Freiheit. Für uns Felsgeborene jedoch ist die Burg weit mehr. Sie ist ein Neuanfang und ein Zuhause. Verstehst du das?«
»Ja, Herr«, antwortete Goncha wenig überzeugt.
»Du darfst so lange auf meiner Schulter sitzen, bis die Burg wieder uns gehört«, bot der Prinz an.
»Fein, das hört sich besser an. Wenn Ihr auf mich achtet und mir in der Not den Pelz rettet, komme ich mit. Ich weiß zwar nicht, wie ich Euch bei dem Vorhaben von Nutzen sein könnte, aber wenn Ihr darauf besteht, werde ich kaum widersprechen können.«
»Stimmt, das ließe ich nicht zu«, schmunzelte Vargnar in Gedanken, »und nun müssen wir los.«
»Welchen Weg wollt Ihr nehmen, Herr?«
»Wir gehen über die Berge und nehmen die Burg aus der Höhe ein. Das ist sicherer, denn auf diese Art können wir alles beobachten und zum richtigen Zeitpunkt zuschlagen.«
»Ich hätte mir denken können, dass Ihr ausgerechnet den schwierigsten Weg wählt«, seufzte Goncha.
Sie verließen die Steingräber am anderen Ende der Schlucht. Ein geschickter Kletterer wie Vargnar gewann rasch an Höhe. In fließenden Bewegungen erklomm er die steilsten Felswände, glitt elegant über Eisflächen, während Hände und Füße mit dem Untergrund auf wundersame Weise verschmolzen und ihm festen Halt gaben, als wäre er ein Teil der Wand. Der Felsenfreund war froh, den düsteren Ort verlassen zu können, war den schlafenden Wächtergolems mit großem Respekt begegnet und fühlte sich nur auf der Schulter des Prinzen sicher.
»Was geschieht mit den Wächtern? Jetzt, nachdem sie ihre einzige Bestimmung, die Steingräber zu bewachen, verloren haben?«, bohrte Goncha nach.
»Gut, dass du mich daran erinnerst, mein Felsenfreund«, antwortete der Prinz, »ich werde ihnen den Befehl geben, die Mauern vom Haus des hohen Vaters und der heiligen Mutter einzureißen und die in den Festungswällen gebundenen Steine zu befreien.«
»Ihr helft damit den Bluttrinkern, die es auf die Trutzburg der Bewahrer abgesehen haben. Haltet Ihr das für einen klugen Schritt? Ihr verletzt die Neutralität der Felsgeborenen und stört das Gleichgewicht.«
»Nein, ich helfe den Bluttrinkern nicht, und eine Verletzung des ohnehin verschobenen Gleichgewichts der Mächte sehe ich darin ebenso nicht«, antwortete Vargnar.
»Aber wofür soll der Einsatz der Wächtergolems dann gut sein?«
»Vielleicht, um eine schnellere Entscheidung herbeizuführen? Eine Belagerung könnte viele Sonnenwenden dauern, wenn es den Bluttrinkern nicht gelingt, durch die Wälle zu kommen. Die Bewahrer und die Orna sind vollkommen autark. Sie verschanzen sich einfach hinter ihren Mauern und müssen keinen einzigen Finger bewegen, um einen Angriff abzuwehren. Wir zwingen sie dadurch, sich der Herausforderung zu stellen. Sollten sie gegen Quadalkars Kinder verlieren, hätten wir das ihnen bevorstehende Schicksal lediglich ein klein wenig beschleunigt. Seit der Geburt der Lesvaraq hat beider Orden vornehmste Aufgabe, das Erbe des Ulljan zu bewahren, keinen Sinn mehr.«
»Wenn Ihr mir diese Anmerkung erlaubt, mein Prinz. Ihr habt mitunter merkwürdige Ideen«, meinte Goncha.
»Ganz, wie du meinst!« Vargnar zuckte mit den Schultern.
Der Felsgeborene machte sich Sorgen. Seit sich die zweite Sonne Krysons durch die Hand des schwarzen Saijkalrae-Bruders verdunkelt hatte, war das Tageslicht diffus und kam über den andauernden Dämmerungszustand nicht hinaus. Er fürchtete sich vor den Folgen, die das fehlende Licht für
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