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Kryson 03 - Zeit der Dämmerung

Titel: Kryson 03 - Zeit der Dämmerung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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Er wollte vor Freude jauchzen, hielt sich jedoch im Zaum, um nicht den richtigen Moment zu verpassen, in dem er den freien Fall beenden musste.
    Vargnar wusste, obwohl seine Hülle aus Stein war, konnte er bei einem Sturz aus dieser Höhe durch den Aufprall auf einen Felsen zerschellen und sein Körper würde womöglich in tausend Splitter zerbersten. Wenn es schon nicht der ungefährlichste Weg, aus den Höhen des Riesengebirges ins Tal zu gelangen, war, so stellte es immerhin den schnellsten Abstieg dar, den nur ein Felsgeborener bewältigen konnte. Jedes andere unbeflügelte Lebewesen hätte auf diese Weise mit Gewissheit seinen Gang zu den Schatten besiegelt.
    Der Sturz in die Tiefe war wie ein einziger Rausch für den Prinzen, der ihm die stets so wachen Sinne vernebelte und beinahe vergessen ließ, wer und wo er war. Die Hitze des Fallens drang durch die Kleidung bis unter die obersten Schichten seiner Felsenhaut. Ihm wurde heiß und er dachte, er müsse durch den Reibungswiderstand jeden Augenblick verglühen, wenn der Fall zu lange dauerte. Er war hin- und hergerissen zwischen den ihn überwältigenden Gefühlen und der sich zur eigenen Sicherheit auferlegten Wachsamkeit. Stets musste er sich daran erinnern, dass er fiel und fiel und fiel. Er zählte jede Sardas, seit er sich zu einer Kugel zusammengerollt hatte, verdrängte den berauschenden Eindruck aus seinem Kopf, löste sich schließlich aus der Haltung, als er den Nebel näher kommen sah, und streckte gleichzeitig Arme und Beine weit von seinem Körper ab. Sofort wurde sein Fall langsamer, bis er die letzten Fuß gemächlich abwärtsschwebte und langsam, aber sicher in den Nebel glitt, der ihn sanft umhüllte, für neugierige Augen unsichtbar machte, seine erhitzte Felsenhaut mit feinen Wassertropfen benetzte und zugleich wohltuend abkühlte. Er hatte den Sturz aus großer Höhe sicher vollbracht und sich keine Sardas zu früh oder zu spät geöffnet. Als er mit den Füßen auf dem Boden aufkam, dabei nur ein kaum wahrnehmbares Geräusch verursachte, war Vargnar zufrieden mit sich und lächelte still in sich hinein.
    Nach all den Sonnenwenden des Lauschens habe ich die Kunst des freien Falls nicht verlernt. Das ist ein gutes Zeichen für einen Neuanfang, dachte der Prinz und schlug sogleich die Richtung zu den Steingräbern der Felsgeborenen ein.
    Vargnar kannte den Weg, obwohl er diesen sehr lange nicht mehr gegangen war. Er hatte die Sonnenwenden nicht gezählt, seit er die Wacht für sein Volk angetreten hatte, in denen er als lebende Statue unterhalb eines Gipfels des Riesengebirges regungslos verweilte und fortwährend den Erzählungen der Felsen gelauscht hatte. Gewiss waren es weit mehr als eintausend Sonnenwenden, dessen war er sich sicher.
    Die Steingräber befanden sich in einer Schlucht mitten im Gebirge, umgeben von den höchsten Bergen Krysons. Die Schlucht hatte sich tief in die Felsen des Riesengebirges gefressen, und ihre zwischen den steil aufragenden Felswänden versteckte Lage verhinderte das Eindringen von Tageslicht. Außer wenigen spärlich verteilten und tiefgrünen Schattengewächsen gediehen keine weiteren Pflanzen in der Schlucht. Die Felsgeborenen nannten dieses Gebiet »Schattenschlucht«, obwohl sie mit dem Reich der Schatten nichts gemein hatte und sich die an den Wänden bewegenden Schatten meist durch das diffuse Licht als eine Täuschung des Auges entpuppten. Jedes noch so kleine Geräusch hallte von den eng zusammenstehenden Wänden mehrfach verstärkt wider. Jedes gesprochene Wort, selbst ein Flüstern schwoll zu einem unheimlichen, nur langsam verebbenden Gemurmel an und löste auf seinem Höhepunkt möglicherweise Steinlawinen aus.
    Dies war der Ort, den sich die Felsgeborenen für ihren Rückzug ausgesucht hatten. Ein unwirtlicher Ort, den gewiss niemand freiwillig betreten hätte und der zu allem Überfluss von den Steingolems bewacht wurde. Die Golemwächter waren eigens zu diesem Zweck von den Felsgeborenen geschaffene Kreaturen, die weder einen eigenen Verstand noch eine Seele besaßen. Sechs riesenhafte Golems hatten die Burnter zu ihrem Schutz erschaffen. Jeweils drei der Riesen bewachten den Ein- und Ausgang der Schlucht zu den Steingräbern. Die Riesen erwachten aus ihrer Starre, sobald jemand auch nur einen Fuß in die Schlucht setzte und sich den Steingräbern näherte. Waren sie erst erwacht, gab es kein Zurück. Sie gaben keine Ruhe, bis sie den Eindringling – sei er auch noch so klein oder

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