Kryson 04 - Das verlorene Volk
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Nalkaar war froh, dass sich ihnen schon vor mehreren Sonnenwenden ein Flötenspieler namens Madsick angeschlossen hatte. Das Talent des damals jungen Mannes hatte der Todsänger sofort erkannt. Madsicks Musik war außergewöhnlich. Sie war vergleichbar mit den Gesängen der Todsänger, entfaltete jedoch eine gänzlich andere Wirkung. Und doch eröffnete sie Nalkaar ungeahnte neue Möglichkeiten. Vielleicht konnte er, wenn er es geschickt anstellte und einen gemeinsamen Weg in der Verbindung mit seinen eigenen Klängen fand, eines Tages sogar die Schatten beherrschen. Er hatte von Anfang an keinen Zweifel daran, dass Madsick mit seinem virtuosen Flötenspiel ein Tor zu den Schatten öffnen konnte und die Schatten nach seiner Musik tanzten. So großartig Madsicks Musik und ihre Wirkung sein mochten, so gefährlich war sie für den Musiker selbst. Madsick konnte die Schatten und sein eigenes Spiel nicht beherrschen und fürchtete sich davor. Nalkaar war sich inzwischen sicher, die Schatten suchten den Flötenspieler und wollten ihn in ihr Reich entführen, damit er dort für sie spiele. Öffnete Madsick ein Tor, bot er ihnen Gelegenheit, sich seiner zu bemächtigen.
Das Talent des Flötenspielers war zugleich dessen Schwäche. Ein Nachteil, den Nalkaar für sich nutzen wollte. Er hatte Madsick den notwendigen Schutz gegen die Begehrlichkeiten der Schatten angeboten, was ihm durch seine eigenen Klänge nicht schwerfiel. Vergleichbar mit den Lebenden verharrten die Schatten in Regungslosigkeit und lauschten bedächtig den traurigen Klängen des Todsängers. So verschaffte er Madsick genügend Zeit, das Tor wieder zu schließen und dem Zugriff der Schatten ein ums andere Mal zu entgehen. Als Gegenleistung musste Madsick für den Todsänger spielen und dessen Gesang während der Angriffe gegen die Klan begleiten.
Zwischen Qualm und Trümmern erblickte der Todsänger den obersten Praister Thezael, der sich angeregt mit Madsick unterhielt. Er steuerte geradewegs auf die beiden Männer zu. Thezael und Madsick ähnelten sich in ihrer Statur, sie waren groß gewachsen und hager.
»Reiche Beute für die Schatten«, begrüßte Nalkaar die beiden Männer in schnarrendem Tonfall.
»Es könnte besser sein«, antwortete Thezael. »Ein Dorf wie dieses ist keine Herausforderung. Angesichts der wenigen Einwohner lohnt sich ein Angriff für die Schatten nicht. Sie werden ärgerlich. Außerdem habt Ihr und Eure Todsänger Euch die meisten Seelen einverleibt. Da blieb für die Schatten nichts übrig. Ihr solltet Eure Gier künftig zügeln. Die Schatten werden mir nicht mehr gehorchen, wenn sie ungeduldig sind und ihre Belohnung nicht erhalten. Wann gedenkt Ihr, endlich die größeren Siedlungen und Städte der Klan anzugreifen?«
»Geduld, mein Freund«, antwortete Nalkaar kalt lächelnd, »bald schon werdet Ihr in Tut-El-Baya einziehen und Euren Triumph in den Straßen der Hauptstadt feiern können. Die Nno-bei-Klan werden Eure Rückkehr bestimmt mit Begeisterung aufnehmen.«
»Ihr denkt, die Stadt und der Palast ließen sich so einfach einnehmen?«, wunderte sich Thezael.
Der oberste Praister kannte die Befestigungsmauern von Tut-El-Baya, und der Kristallpalast war bei all seiner Pracht ein Bollwerk der Verteidigung, sollte ein Eroberer einen Angriff wagen. Selbst den Rachuren würde es schwerfallen, dieses zu Fall zu bringen.
»Das habe ich nicht behauptet«, antwortete Nalkaar, »aber wir haben aus der Vergangenheit gelernt und werden mit Bedacht vorgehen. Nun ja … sagen wir, die meisten von uns haben ihre Lehren gezogen. Wollen wir Tut-El-Baya erobern, werden wir all unsere Kräfte bündeln müssen. Für Euch undMadsick bedeutet das, dass wir gemeinsam mit den Schatten in die Stadt einfallen. Es schadet nicht, wenn wir unsere Taktik zunächst an kleineren Dörfern üben und vervollkommnen. Eine Niederlage können wir uns nicht leisten.«
»Also werden wir weiter über die Dörfer nach Osten ziehen«, stellte Madsick trocken fest.
»Gut erkannt, das ist der Plan. Sobald wir Otevour restlos von den Klan befreit haben, wenden wir uns Habladaz zu. Das wird nicht mehr allzu lange dauern. Nachdem Fürst Otevour und seine Söhne in der Schlacht bei Tartatuk gefallen sind, lässt der Widerstand mit jedem Tag nach. Nach Habladaz stoßen wir über das Fürstentum Barduar direkt auf das Gebiet der Fallwas nach Tut-El-Baya vor.«
»Die Verteidigung wird stärker werden, je weiter wir uns Tut-El-Baya nähern«,
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