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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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plötzlich unser Sein. Es ist das Einzige, worauf es uns noch ankommt. Es bestimmt unsere Gedanken. Es kommt zu Verstümmelungen. Kinder werden verschleppt, Frauen geschändet, Felder und Häuser niedergebrannt. Schätze werden geraubt. Unser Zuhause wird zerstört. Nichts und niemand wird verschont. Es gibt keine Sicherheit mehr. Wir sehen Tag für Tag, wie unsere Freunde und Familien abgeschlachtet werden.
    Nichts ist mehr, wie es einst war. Grausamkeiten undfurchterregende Gräuel greifen um sich. Davon können wir uns selbst nicht mehr freisprechen. Wir sind mittendrin im Strudel des Blutes. Es gibt kein Zurück. Bis zum bitteren Ende. Wir verlieren die Kontrolle über uns selbst. Der Hass schleicht sich unbemerkt in unsere Köpfe und bemächtigt sich unseres Geistes. Und plötzlich sind wir nicht mehr wir selbst. Der Krieg verändert uns alle. Krieg ist die Ausgeburt des Bösen. Hütet euch vor den zerstörerischen Einflüssen und lasst euch nicht blenden. Meidet den Krieg, wenn ihr es könnt.«
    Die Gesichter der Kinder drückten Enttäuschung aus, was Alrab nicht entgangen war. Aus ihren Augen las er Verwirrung. Sie hatten ihn nicht verstanden. Manche zeigten sich sogar ängstlich. Womöglich war er zu weit gegangen. Seine beschwörenden Worte hatten sie verunsichert. Offensichtlich hatten sie eine andere Erklärung von ihm erwartet.
    »Aber Großvater, du hast doch selbst vor vielen Sonnenwenden in einem Krieg gekämpft«, sagte Neslab.
    »Das ist richtig. Wir hatten keine Wahl und ich bin nicht gerade stolz darauf«, antwortete Alrab. »Seht mich an. Ich bin fürwahr kein Held und habe mein Bein im Krieg gegen die Rachuren verloren. Doch die vielen anderen Narben, die ich mir tief in meinem Inneren zugezogen habe, könnt ihr nicht sehen. Ich habe sie mit der Zeit verdrängt. Aber sie sind noch da und an solchen Tagen wie heute spüre ich sie umso mehr. Sie schmerzen und ich werde sie bis zu meinem Gang zu den Schatten nicht mehr loswerden.«
    »Wer waren die Rachuren?«, wollte eines der Kinder wissen.
    »Sie waren unser Todfeind, mein Junge«, antwortete Alrab. »Kein anderes Volk auf unserem Kontinent war so sehr darauf aus, uns Nno-bei-Klan zu unterjochen und zu vernichten, wie die Rachuren. Wir hatten mehr Glück als Verstand, als wir sie in einer letzten, entscheidenden Schlacht schlagen konnten.Seitdem kamen sie nicht wieder. Aber der Preis, den wir für diesen Sieg zahlen mussten, war viel zu hoch.«
    »Wirst du uns davon erzählen?«, hakte Neslab nach.
    »Von der Schlacht am Rayhin?«
    »Wenn das dort war, wo du gegen die Rachuren gekämpft hast.«
    »Ja, aber das kann und will ich nicht tun. Eines Tages erzähle ich euch vielleicht davon, wenn ihr alle älter geworden seid. Ich sage euch nur, dass es das Schrecklichste war, was ich in meinem Leben mitgemacht habe. Aber merkt euch einen Namen: Lordmaster Madhrab. Der Bewahrer des Nordens. Nie zuvor und auch nicht in den Sonnenwenden danach begegnete ich jemals wieder einem solchen Mann. Vergesst ihn niemals und haltet seinen Namen in Ehren, gleichgültig was auch immer ihr über ihn hören solltet.« Nachdenklich zog Alrab an seiner Pfeife und formte Ringe und Figuren aus Rauch in der Luft. Damit zauberte er ein Lachen auf die Gesichter der Kinder, die vor Begeisterung in die Hände klatschten.
    Madhrab. Der Großvater hatte oft über ihn nachgedacht und sich gefragt, was wohl aus ihm geworden war. Für ihn hätte er alles gegeben. Als Alrab vor vielen Sonnenwenden von den Intrigen und der Ungerechtigkeit gehört hatte, war er bereit gewesen, einfach alles stehen und liegen zu lassen. Er wollte sich aufmachen, dem Bewahrer des Nordens beizustehen und zu seinen Gunsten auszusagen. Anderen war es gewiss ähnlich ergangen. Aber am Ende war er doch zu sehr mit seinem eigenen Überleben und den erlittenen Verlusten beschäftigt gewesen, dass er sich nicht zu einem solchen Schritt hatte durchringen können. Es war eine Schande.
    »Großvater?«, unterbrach Neslab seine Gedanken.
    »Was gibt es, mein Junge?«
    »Hörst du die Musik?«
    »Welche Musik?«
    »Na, hör doch. Die leisen Klänge aus der Ferne.«
    Alrab legte seine Pfeife zur Seite und spitzte die Ohren. Sein Gehör war längst nicht mehr so fein wie das seines Enkels. Aber wenn er sich anstrengte und konzentrierte, dann ging es für sein Alter noch recht gut. Plötzlich riss der Großvater die Augen weit auf und sprang abrupt von seinem Sitz hoch. Beinahe hätte er bei der überhasteten Aktion

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