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Kryson 04 - Das verlorene Volk

Titel: Kryson 04 - Das verlorene Volk Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bernd Rümmelein
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das Gleichgewicht verloren und wäre vornübergestürzt, wenn ihn Neslab nicht am Arm festgehalten hätte. Alrab hatte die Musik vernommen. Klänge, die ihm vertraut waren. Er hörte liebliche Gesangsstimmen, die von melancholischem Flötenspiel begleitet wurden. Er konnte nicht genau bestimmen, aus welcher Richtung der Gesang stammte und wie weit die Verursacher noch entfernt waren. Aber die plötzliche Erkenntnis traf ihn bis ins Mark. Alrab wurde blass. Totenblass. Seine Gesichtszüge erstarrten vor Schreck. Er brauchte einen Moment, bis er sich wieder gefasst hatte.
    »Bei allen Kojos«, schrie er hysterisch und schlug dabei die Hände flehend über dem Kopf zusammen, »lauft, Kinder. Lauft! Lauft um euer Leben. Weg von der Musik. Raus aus dem Dorf. So schnell ihr könnt. Rennt weg, bis ihr die Musik nicht mehr hören könnt. Dreht euch nicht um und kommt nicht zurück. Versteckt euch in den Wäldern. Los ...!«
    »Aber Großvater!«, wollte Neslab noch entgegnen, während sich seine Freunde bereits in Bewegung gesetzt hatten und panisch und schreiend davonliefen.
    »Weg mit dir, Neslab!«, rief Alrab. »Mach schon. Rasch, oder muss ich alter Mann dich erst mit den Krücken aus dem Dorf prügeln?«
    Neslab standen Tränen in den Augen. Er verstand seinen Großvater nicht. Was hatte er plötzlich? Die Klänge waren doch wunderschön. Aber der Junge war folgsam und rannte seinen Freunden, so schnell er konnte, hinterher.
    Alrab packte seine Krücken, hinkte und hüpfte schreiend durchs Dorf. Er musste die Einwohner alarmieren, wenn es nicht schon zu spät dafür war. Er versuchte die große Glocke am Ende des Dorfes zu erreichen. Wer seine Schreie nicht hören konnte, würde durch den Klang der Glocke vor dem drohenden Unheil gewarnt werden.

    Feuer. Dunkles Feuer, das heißer brannte als jedes andere Feuer. Drachenglut. Bis weit in den Himmel reichten die Flammen, die sich längst zu einem heißen, tödlichen Sturm zusammengeschlossen hatten und mit verderbter Wucht über das kleine Dorf Moyin fegten.
    Häuser, Gehöfte und Dächer brannten lichterloh. Die Klan waren aus ihren Häusern gelaufen, standen oder knieten teilnahmslos auf den Straßen und Wegen der Stadt, als nähmen sie das Unglück um sie herum überhaupt nicht wahr. Sie saßen in einer Falle, aus der es kein Entrinnen gab. Nur ein alter, einbeiniger Mann unternahm einen verzweifelten Versuch, die Einwohner zu retten und die Brände zu löschen. Der Wahnsinn sprach aus seinen Augen, aber er wollte nicht aufgeben, kämpfte gegen die Flammen und versuchte seine Nachbarn und Freunde aus ihrer Teilnahmslosigkeit zu wecken. Doch sein Schreien und Toben blieb ungehört. Sie waren wie gebannt. Lämmer, die, umzingelt von Baumwölfen, ergeben auf ihr Schicksal warteten.
    Die Angriffe auf die Dörfer und Städte der Klan liefen stets nach dem gleichen Muster ab. Von Gesängen verzaubert, wurden die Klan voller Sehnsucht und doch ängstlich aus ihren Häusern und Hütten gelockt. Nie zuvor hatten sie etwas Schöneres gehört. Mit bangen Blicken suchten sie die Herkunft der melancholischen Klänge zu ergründen, die ihnen die Herzen zerriss und die Seelen zu rauben drohte. Die Schönheit der Musik trieb sie in die Verzweiflung. Nur die Stärksten unterihnen hielten den Schattenmelodien lange genug stand, um den Schatten aufrecht entgegenzutreten. Die Übrigen verloren ihre Seelen, bevor sie verstanden hatten, was mit ihnen geschah.
    Sobald die Gesänge geendet hatten, ergoss sich eine Flut von Drachenchimären über die Dächer der Häuser, entführten Frauen und Mädchen. Mit feurigem Atem steckten sie anschließend alles in Brand, was sie finden konnten. Lediglich die auf den Straßen versammelten Klan verschonten sie zunächst. Waren die Häuser bis auf die Grundfesten niedergebrannt, kamen die Todsänger in die Stadt. Sie waren hungrig und fuhren ihre reiche Ernte ein, die sie mit ihren Stimmen vorbereitet hatten. Kaum waren die Todsänger satt, rückten Rachurenkrieger nach, zerschnitten und zerfetzten die seelenlosen Leiber der Klan oder der wenigen Opfer, die den Gesängen bis zuletzt widerstanden hatten. Eine einfache Aufgabe, denn nur wenige entgingen der Todsänger Gier.
    Die Krieger kannten kein Erbarmen; sie wurden nur von Rache und Zerstörung getrieben. Allen voran wütete der Anführer der Rachuren unter den wehrlosen Leibern. Ein Krieger, dessen Beine und Arme aus Blutstahl bestanden. Grimmgour, der Schänder.
    Hatten die Krieger ihr blutiges

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