Kryson 04 - Das verlorene Volk
gedanklich beeinflussen können, aber er entschied sich für einen anderen Weg.
Tomal lud das Galwaas durch, stemmte es in die Hüfte und feuerte. Der plötzliche Rückschlag der Waffe krachte ihm schmerzhaft gegen die Knochen und ließ ihn kurz zurücktaumeln. Der Knall klingelte in seinen Ohren. Holz splitterte. Der Schuss riss ein großes Loch in die Pforte des Tempels. Aus dem Inneren des Gebäudes ertönte ein entsetzter Schrei. Eine Glocke wurde plötzlich und hektisch geschlagen. Der Ton war dumpf und dunkel. In der Not alarmierte der Praister wahrscheinlich seine Brüder.
Käftig trat der Lesvaraq mit den Stiefeln gegen die Pforte und brach damit den letzten Widerstand der dicken Holztür. Die Flügel der Pforte wurden aus den Angeln gerissen, brachen nach innen weg und begruben einen dahinter stehenden Praister unter sich. Tomal nahm an, dass es sich um den Praister handelte, der kurz zuvor mit ihm gesprochen hatte. Aber er wollte sich vergewissern und hob den Torflügel an, unter dem er den Mann vermutete. Er trug das rote Gewand der Praister, hatte sich zusammengerollt, blutete am Kopf, hielt die Hände jedoch verkrampft vor der Brust, stöhnte und jammerte. Ohne lange nachzudenken, hielt der Lesvaraq dem Verletzten das Galwaas an den Kopf und drückte ab. Das Hirn spritzte aus dem Schädel. Blut und graue Gehirnmasse verteilten sich über Wände, Boden und die Kleidung des Lesvaraq.
»Pfui«, dachte Tomal bei sich, »was für eine Schweinerei! Die Waffe ist in der Tat mächtig und in ihrer Wirkung erstaunlich, das muss ich Jafdabh lassen.«
Die Glocke hatte aufgehört zu schlagen und die Praister zeigten sich dem ungebetenen Besucher nicht gastfreundlich. Er nahm an, dass sie sich entweder aus Angst versteckten oder ihn in eine Falle locken wollten. Tomal ging, das Galwaas im Anschlag, vorsichtig einige Schritte in das Innere des Tempels. Der Eingang – eine Art Vorkammer, deren Wände schwarz gestrichen waren – präsentierte sich lediglich mit einigen in unregelmäßigen Abständen auf dem Boden verteilten Kerzen schwach beleuchtet. Der Lesvaraq wartete einen Moment, bis sich seine Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. Am Ende des Raums befand sich eine weitere Tür. Bevor Tomal jedoch die Klinke drückte, hielt er noch einmal inne und lauschte. Er glaubte, weiter entfernt Gesang vernommen zu haben, der einer Beschwörung ähnelte. Riefen die Praister die Schatten? Aber vielleicht hatten ihn seine Sinne getäuscht. Hinter der Tür herrschte Stille. Knarrend öffnete sich die Tür, und Tomal blickte in einen weitläufigen Gebetsraum, auf dessen steinernem Boden und an deren Wänden an verschiedenen Stellen Symbole aufgezeichnet waren, vor denen Teppiche, Kissen und tönerne Schalen lagen. Aus den Schalen stieg Rauch auf, der die Kammer mit einem schweren, süßlichen, die Sinne beeinträchtigenden Duft füllte. Manche Symbole glichen Runen, andere wiederum schienen Tiere oder ihm noch unbekannte Kreaturen darzustellen. Er kniete sich vor einem der Symbole nieder, um die Beschaffenheit näher zu untersuchen. Täuschte er sich oder hatten die Praister die Zeichen mit Blut gemalt? Das Licht in der Kammer reichte nicht aus, um ihm Gewissheit zu verschaffen.
Tomal wurde schwindelig. Er schüttelte heftig den Kopf, um das Gefühl der Benommenheit wieder abzuschütteln. Er standauf und ging bis zum Ende der Kammer. Dort hatte er drei weitere Türen ausgemacht. Tomal fragte sich, wie viele Praister in diesem Tempel wohl zu Hause waren. Nach den Kissen und Teppichen zu urteilen mussten es fünfzig oder mehr sein.
Ich f inde euch alle , dachte Tomal, von einem unstillbaren Hass auf die Praister erfüllt, jeden Einzelnen von euch. Ihr habt meinen Vater getötet und jetzt bringe ich euch zu den Schatten.
»Wo habt Ihr Euch versteckt, Ihr feiges Pack?«, rief Tomal. »Ist das eine Art, einen Gast zu begrüßen?«
Nichts rührte sich. Tomal wählte die mittlere der drei Türen. Die Reihenfolge der Türen war ihm gleichgültig, am Ende des Tages würde er jede mindestens einmal durchschritten und jeden Winkel des Tempels genauestens untersucht haben. Eine hölzerne Treppe führte in ein dunkles Kellergewölbe. In einer Halterung an der Wand steckten mehrere unbenutzte Pechfackeln.
»Wie praktisch«, dachte Tomal und griff sich eine davon.
Wollte er in der Dunkelheit etwas erkennen – was er für gewöhnlich beherrschte –, musste er sich mit Magie behelfen oder eine Fackel anzünden. Der Lesvaraq
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