Kryson 04 - Das verlorene Volk
stets aus innerer Überzeugung gehütet und gepflegt hatte. Wie würde er diese Aufgabe weiterhin guten Gewissens erfüllen können? Pydhrab erinnerte sich, schon einige Male vernommen zu haben, Lordmaster Madhrab besäße die Gabe. Dafür gab es gewichtige Anhaltspunkte, die nicht von der Hand zu weisen waren. Aber floss in den Adern des großen Bewahrers tatsächlich das Blut der Maya?
»Wie ist das möglich?«, fragte sich Pydhrab. »Wenn Ulljan die Maya der ewigen Verdammnis ausgesetzt hat, muss es außerhalb der Stadt Abkömmlinge ihres Volkes gegeben haben, die seinem Wirken entgangen sind. Als Ulljan den Altvorderen die Gabe entrissen hat, ahnte er nicht, dass diese für ihn nutzlos sein würde. Die Kojos sind eigen und lassen sich nicht täuschen, wenn es darum geht, jemandem ihre Gunst zu erweisen. Die Gabe des Kriegers hatten sie den Maya angedacht, und das konnte selbst ein Lesvaraq nicht ändern. Die Machtfülle des Erzmagiers hatte also ihre Grenzen. Interessant …«
Doch Ulljan hatte den Maya mehr als nur die Gabe gewaltsam entrissen. Ein magisches Buch von unschätzbarem Wert war während des Beutezuges in die Hände des Lesvaraq gefallen.
Ein Buch der Macht, dessen Name – Rucknawzor – alleine schon gefährlich war. Wehe dem Magiebegabten, der diesen Namen aussprach oder für seine Zwecke missbrauchte. Später hatte Ulljan das Buch als sein eigenes Werk ausgegeben. Vielleicht hatte er es durch eigene Worte ergänzt, aber sicher war, dass es den Altvorderen zustand. Pydhrab wusste nun immerhin, wo er anfangen musste zu suchen, wollte er dieses einzigartige, aber verschollene Werk wiederfinden. Schon vielevor ihm hatten dieses Buch begehrt und ihre Finger danach ausgestreckt. Ohne Erfolg. Die Saijkalrae waren gescheitert, als sie versuchten, sich des Buches zu bemächtigen. Obwohl sie Ulljan gefoltert und während der Prozedur Leib und Seele ihres Meisters vernichteten. Angeblich, wie er während der Lektüre festgestellt hatte. Ulljan hatte das Buch längst vor ihrem Zugriff versteckt, ließ es von eigenartigen Wesen bewachen und gab den Standort selbst unter größten Qualen nicht preis. Dabei war es im Grunde ganz einfach. Obwohl es gewiss nicht leicht sein würde, die Wächter zu überwinden und deren Aufgaben zu lösen. In Ulljans übrigen Schriftrollen hatte es Hinweise gegeben. Den deutlichsten Wink hatte Pydhrab jedoch erst in diesem Reisebericht gefunden. Sollte sich die Prophezeiung über die sieben Streiter eines Tages bewahrheiten, dann war das Buch nicht mehr fern. Er wusste um ein wertvolles Geheimnis. Ein zugleich gefährliches Geheimnis, für das andere Wissbegierige skrupellos töten würden.
»Ich werde die Schriftrolle und meine Aufzeichnungen verbrennen«, dachte Pydhrab plötzlich bei sich, »das scheint besser für uns alle. Der Bericht hätte niemals gefunden werden dürfen.«
Zum ersten Mal in seinem Leben kämpfte Pydhrab gegen sich selbst und dachte tatsächlich – entgegen seiner inneren Überzeugung – über die Vernichtung eines bedeutenden Schriftstückes nach. Eine solch sträfliche Schandtat wäre ihm zuvor niemals in den Sinn gekommen. Immerhin war er ein Atramentor. Als solcher sah er sich für den Erhalt der Schriften und die Anhäufung von Wissen verantwortlich. Ihre mutwillige Zerstörung empfand er als Gräuel. Sein Gewissen aber verlangte von ihm, dass er die Schriftrolle sofort verbrennen musste. Niemand anderem durfte dieses Wissen in die Hände fallen.
Pydhrab wusste, dass Yilassa ein ungewöhnliches Interesse am Inhalt der Schriftrolle gezeigt hatte. Er hatte sich darüber gewundert. Konnte, nein, durfte er ihr vertrauen? Sie hatte sichverändert, seit sie die Nachfolge Boijakmars angetreten hatte. Nicht zum Besten, wie Pydhrab fand. Ihre Natürlichkeit, das Lachen und das einst offene, freundliche Wesen, das sie ihr Eigen nennen durfte und das ihr so manch offene Bewunderung eingebracht hatte, waren über Nacht verschwunden.
Nicht wenige unter den Ordensbrüdern hätten insgeheim Madhrab nach dessen Rückkehr aus der Grube auf dem Platz des hohen Vaters gesehen. Aber nach allem, was vorgefallen war, hatten sie nicht gewagt, den Bewahrer des Nordens um seine Entscheidung zu bitten. Andererseits war Yilassa nun schon seit einiger Zeit Overlord des Ordens. Sie hatte sich nichts zuschulden kommen lassen, hatte weise Urteile gefällt. Und so wurde ihr Anspruch auf den Platz des hohen Vaters nicht infrage gestellt. Nicht offen jedenfalls.
»Nein, sie
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