Kryson 04 - Das verlorene Volk
zu können.
Sie trafen sich in den frühen Morgenstunden vor den Toren des Palastes. Tallia, Baylhard und die auserwählten Eiskrieger mit ihren Schneetigern warteten bereits, als Sapius eintraf. Die vielen Raubkatzen verbreiteten einen strengen Geruch, über den Sapius die Nase rümpfte. Tomal hingegen hatte sich an diesem Morgen noch nicht sehen lassen.
Die Kunde vom Ruf des Regenten hatte sich in Eisbergenschnell herumgesprochen. Zahlreiche Einwohner hatten sich an den Toren versammelt und säumten die Straßen bis zum Hafen von Eisbergen, um ihren Fürsten und dessen Geleit gebührend zu verabschieden. » Ein eigenartiges Gefühl« , dachte Sapius bei sich, » sie werden uns zujubeln, als hätten wir Heldentaten vollbracht und eine Schlacht gewonnen. Aber dies ist gewiss kein Triumphzug. Wir folgen dem Ruf des Regenten. Und wer weiß, womöglich führt uns dieser Ruf am Ende ins Verderben.«
Sapius und Tallia hatten sich während der Vorbereitungen für eine Reise mit dem Schiff entschieden. Zwei große Fünfmaster, die Prachtschiffe des Fürstentums, »Isla« und »Kamyar«, lagen im Hafen, um die Reisenden aufzunehmen. Sie wurden von drei weiteren Eisschiffen begleitet, auf deren Ruderbänken jeweils zweihundert Ruderer Platz hatten. Sie mussten den Großteil der Eiskrieger und in ihren Laderäumen die Schneetiger mit ausreichend Proviant für die Reise aufnehmen. Es wäre fatal gewesen, die Raubkatzen in ungewohnter Umgebung hungern zu lassen. Die Seereise gen Süden war – jedenfalls solange die Seewege offen waren – dennoch sicherer als der lange und beschwerliche Weg über den Choquai-Pass und er würde ihnen zudem einige Wochen Reisezeit sparen.
Ein Raunen ging durch die Menge, als sich Tomal schließlich blicken ließ. Der Lesvaraq hatte sich die in den Farben des Regenbogens schimmernde Rüstung des Fürsten angelegt, und an seiner Seite hing das mächtige Schwert des Nordens, Iskrascheer.
»Das gefällt mir nicht«, ging es Sapius durch den Kopf. »Tomal zeigt sich den Klan voll und ganz als Fürst und gibt sich als einziger Erbe des Hauses Alchovi aus. Offenbar gefällt er sich in dieser Rolle. Ich muss darauf achten, dass er den Regenten und die anderen Fürsten nicht provoziert. Ein Streit im Rat der Fürsten wäre unserer Sache gewiss nicht dienlich.«
»Was ist mit dir, Sapius?«, fragte Tomal. »Hast du schlecht geschlafen oder hast du Angst vor dem Seegang. Du kannst deine schlechte Laune nicht vor mir verbergen. Ich sehe sie dir an den zusammengekniffenen Augen an.«
»Nein, weder – noch«, murrte Sapius, »es ist noch früh und ich habe mir gestern bestimmt mit Fisch den Magen verdorben.«
»Unsinn«, antwortete Tomal, »der Fisch war frisch. Ich habe ihn selbst gefangen. Er war so frisch, dass er dir beinahe vom Teller gesprungen wäre. Du weißt doch, unsere Köche bereiten ihn lebend zu. Er zuckte noch, als du ihn gekostet hast. Das habe ich mit eigenen Augen gesehen. Eine Kunst in der Zubereitung, die du auf Ell sonst nirgends findest.«
»Ja, vergiss es einfach und lass uns zum Hafen gehen«, schlug Sapius trotzig vor.
Tomal lächelte und winkte den wartenden Klan zu, die ihn und die freundliche Geste begeistert bejubelten und ihm Beifall klatschten. Nachdem er das Bad in der Menge ausgiebig genossen hatte, gab der Lesvaraq das Zeichen zum Aufbruch. Während sich Sapius auf dem Weg zum Hafen wie bei einem Spießrutenlauf vorkam, schien Tomal den Auftritt sichtlich zu genießen. Sapius war froh, als sie die Schiffe erreicht und an Bord gegangen waren.
Endlich stachen sie in See und brachen nach Tut-El-Baya auf.
Ruf des Regenten
W o bleiben die Fürsten?«, erhob Jafdabh seine Stimme in der Halle des Regenten, die außer von einigen Dienern ungehört blieb.
Der Regent war ungehalten. Seit Tagen wartete er ungeduldig auf die Ankunft der Fürsten und Nachrichten aus den umkämpften Gebieten im Süden der Klanlande. Viel mehr als Gerüchte waren in den Kristallpalast bislang nicht vorgedrungen. Doch die wenigen Worte aus unterschiedlichsten Quellen – mal mehr, mal weniger glaubwürdig – waren schrecklich genug, um sich darüber ernsthaft Gedanken machen zu müssen. Denn so ungenau und wirr diese klingen mochten, sie hatten eines gemeinsam: Sie alle erzählten von einem fürchterlichen Vernichtungskrieg gegen das Volk der Nno-bei-Klan. Und Jafdabh wusste nur zu gut, dass der Kern einer Legende – so er sich denn wie in diesem Fall eindeutig herausarbeiten ließ und sich
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