Kryson 05 - Das Buch der Macht
wusste nicht, dass du dich noch immer mit dem Studium der Heilpflanzen beschäftigst.«
»Das bereitet mir nach wie vor Freude«, schmunzelte Ayale, »und irgendwie muss ich mich beschäftigen und meinen Geist wach halten. Aber die Schriftrolle ist schlecht geschrieben. Die Atramentoren sind auch nicht mehr das, was sie mal waren. Sehr bedauerlich, dass Pydhrab vor einigen Monden im Haus des hohen Vaters gemeuchelt wurde. Seine Schriftenwaren ausgezeichnet. Aber das hier …«, sie atmete tief durch, »… ist Mist! Ich wünschte, du könntest mir einen Lesekristall besorgen, Kind. Dann würde mir das Lesen leichter fallen und ich könnte mich nützlich machen, solange mich die Schatten nicht von hier wegholen.«
Die Schatten. Elischa hatte sich schon des Öfteren Gedanken gemacht, wie es Ayale gelungen war, dieses hohe Alter zu erreichen. Sie kannte keine Klan oder eine andere Ordensschwester, die jemals so alt geworden wäre.
»Was meinst du?« Elischa hatte von den Kristallen noch nichts gehört.
»Die Kristalle sind neu. Habe ich dir noch nicht davon erzählt? Es gibt nur ein bestimmtes Kristall, aus dem man sie gewinnen konnte. Sie sind sehr wertvoll und werden den Augen des Benutzers angepasst. Nur wenige verstehen das Schleifen richtig. Wenn sie allerdings gut gemacht sind, vergrößern sie das Schriftbild für meine Augen und verstärken das Licht.«
»Du hast Ansprüche!«, lachte Elischa. »Brauchst du vielleicht noch etwas anderes?«
»Da fiele mir gewiss das ein oder andere ein«, antwortete Ayale.
Elischa blieb neben dem Tisch stehen und sah Ayale nachdenklich an. Tarratars Worte ließen sie nicht mehr los. Er hatte gesagt, dass er sich Sorgen um ihre Freundin machte. Was hatte er damit gemeint?
»Was ist mit dir, Kind?«, fragte Ayale. »Du siehst mich so eigenartig an.«
»Ich muss mit dir reden, Ayale«, sagte Elischa.
»Sicher«, sagte die alte Ordensschwester, »du kannst mit mir über alles reden.«
»Das ist gut. Aber nicht hier. Lass uns in meine Kammer gehen.«
»Du willst, dass ich meine alten Knochen zu dir bewege und die Stufen hochsteige?«
»Ja, wenn es dir nichts ausmacht.«
»Ach … nein, es macht mir nichts. Geh schon mal vor«, seufzte Ayale, »ich komme in einer Hora zu dir geschlichen.«
»Schon gut. Lass dir Zeit. Jetzt hast du mir ein schlechtes Gewissen gemacht«, antwortete Elischa betrübt.
»Mach dir nichts draus«, beschwichtigte Ayale, »die Bewegung tut einer alten Frau gut.«
Elischa wartete ungeduldig in ihrer Kammer auf Ayale. Die Ordensschwester hatte zwar gesagt, sie würde in einer Hora bei ihr sein, jedoch hatte die heilige Mutter mit einem früheren Erscheinen gerechnet. Ayale war spät dran. Es klopfte an der Tür. Elischa öffnete. Vor der Tür wartete Ayale, bis sie hereingebeten wurde. Die alte Frau atmete schwer.
»Vierundzwanzig Stufen«, keuchte Ayale außer Atem.
»Was sagst du?«, fragte Elischa
»Vierundzwanzig verdammte Stufen – entschuldige bitte mein Fluchen – sind es von der Bibliothek bis zu deiner Kammer«, beschwerte sich Ayale, »weißt du überhaupt, wie lange ich für jede einzelne Stufe brauche?«
»Tut mir leid, aber vierundzwanzig Stufen sind nicht gerade viel.«
»Für mich aber schon!«, maulte Ayale.
»Tarratar macht sich Sorgen um dich«, konftrontierte Elischa die Ordensschwester mit einer Information aus ihrem Gespräch mit dem Narren.
»So, tut er das, der alte Giftzwerg«, knurrte die Alte.
»Ich dachte, ihr wärt Freunde?«
»Hm … ja, das sind wir wohl auch. Wir kennen uns schon sehr lange, weißt du. Er schuldet mir was.«
»Weshalb? Was hast du für ihn getan?«, hakte Elischa nach.
»Ach Kind, darüber will ich nicht reden, frag mich dochnicht nach meiner Vergangenheit. Ich war auch einst eine junge Frau.«
»Du … du hast mit ihm …« Elischa riss die Augen entsetzt auf, »… mit dem Narren?«
»Er ist nicht, wie er scheint«, erwiderte Ayale, »und er ist nicht, was du denkst. Lassen wir das. Das ist schon ewig her.«
»Wie lange kennen wir uns schon, Ayale? Du hast mir in all der Zeit nie davon erzählt.«
»Ich habe niemandem davon erzählt. Das geht nur ihn und mich etwas an. Wir kennen uns seit über vierzig Sonnenwenden, Elischa. Du warst noch ein sehr kleines Mädchen, als ich bereits zu den älteren Schwestern im Orden zählte. Mein Bewahrer war gerade zu den Schatten gegangen, als du zu den Orna kamst. Ich durfte kein weiteres Band mehr knüpfen, weil ich damals schon zu alt
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