Kryson 05 - Das Buch der Macht
war.«
»Sag mir, warum die Schatten dich verschonen.«
Elischas bohrender Blick ließ keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie Ayale nicht gehen lassen würde, bis sie ihr eine vernünftige Erklärung für ihr ungewöhnlich hohes Alter gegeben hatte. Ayale wiegte ihren Kopf hin und her, als würde sie überlegen, ob sie der heiligen Mutter ihr Geheimnis verraten durfte. Sie tat sich offensichtlich schwer mit der Entscheidung, Elischa einzuweihen oder ihren Zustand zu erklären.
»Es ist die Magie, Elischa«, sagte Ayale schließlich mit einem Seufzer.
»Welche Magie?«, die heilige Mutter beharrte auf einer Antwort.
»Der Zauber der magischen Brüder«, platzte die Wahrheit plötzlich aus Ayale heraus. »Ich bin eine Saijkalsanhexe.«
Elischa legte sich erschrocken die Hand auf den Mund und sprang auf. Wie war das möglich? Sie hatte Ayale immer vertraut. Die Ordensschwester war ihre beste Freundin und ihr Halt im Orden der Orna. Ausgerechnet Ayale! Wie hatte siedie heilige Mutter und ihre Schwestern nur auf diese Weise hintergehen können?
»Wie konntest du …?«, Elischa wollte es nicht aussprechen. »Seit wann?«
»Noch nicht sehr lange, Kind«, gab Ayale zu, »nicht länger als zwei Sonnenwenden.«
»Aber warum, Ayale? Ich verstehe dich nicht.«
»Weil es das einzig Richtige ist«, behauptete Ayale.
»Du irrst dich«, erwiderte Elischa, »Tarratar erwähnte, dass es in den Ordenshäusern Saijkalsan gibt, und er sagte auch, dass sie sich täuschen.«
»Tarratar redet viel. Du darfst ihm nicht alles glauben, Elischa. Die Saijkalrae sind nicht schlecht, wie du vielleicht denken magst. Sie wissen genau, wie gefährlich die freie Magie sein kann und welchen Schaden sie anrichtet. Sie kontrollieren und beschränken die Magie seit mehr als fünftausend Sonnenwenden. Wir ziehen unsere Macht aus der ihren. Aber wir dürfen sie nicht unbedacht einsetzen, denn wir zahlen einen hohen Preis dafür. Und das ist gut so.«
Elischa schüttelte ungläubig den Kopf. Sie war erschüttert über diese Erkenntnis. Wie sollte sie Ayale jemals wieder vertrauen können? Sapius war einst ein Saijkalsan gewesen. Aber der Magier hatte seinen Irrtum erkannt und sich von den Saijkalsan losgesagt. Elischa hatte seine Gründe verstanden.
»Löse dich von den magischen Brüdern, Ayale«, verlangte Elischa, »der dunkle Hirte und der weiße Schäfer sind nicht gut für dich und den Orden.«
»Ulljan selbst hatte sie zu seinen Nachfolgern auserkoren.«
»Das ist mir bewusst. Aber er wollte gewiss nicht, dass die Orden der Orna und der Sonnenreiter den Saijkalrae dienen.«
»Ich weiß nicht, was Ulljan beabsichtigte, als er die Brüder bei sich aufnahm und unterrichtete und die Orden gründete. Ich weiß nur, dass sie genau das Richtige tun, um Ell vor demUntergang zu schützen. Sie sind die Konstante im Gleichgewicht der Kräfte. Wären sie nicht, wäre Ell verloren. Die Magie darf niemals unkontrolliert sein. Die Lesvaraq sind gefährlich, Elischa. Viel gefährlicher und zerstörerischer als die Saijkalrae. Ich weiß wohl, dass du das nicht gerne hörst, schließlich bist du die Mutter eines Lesvaraq.«
»Das hat nichts mit mir zu tun«, antwortete Elischa, »aber du kannst keine Orna sein, wenn du den magischen Brüdern dienst.«
»Wer sagt das?«, verlangte Ayale einen Grund für Elischas Behauptung.
Elischa dachte nach. Es gab tatsächlich keine Ordensregel, die eine Zugehörigkeit der Orna oder eines Sonnenreiters und Bewahrers zu den Saijkalrae verbot. Dennoch war die heilige Mutter der festen Überzeugung, dass dies gegen alle Prinzipien des Ordens verstieß.
»Du solltest den weißen Schäfer persönlich kennenlernen«, schlug Ayale vor.»Glaube mir, er ist ein sehr besonnener und überzeugender Mann. Er und seine Ansichten würden dir gefallen.«
»Und was ist mit dem dunklen Hirten?«, zweifelte Elischa an den Worten der Ordensschwester.
»Er ist … schwierig«, gab Ayale zu, »temperamentvoll, aber auch ungeduldig und zornig. In ihm steckt ein trotziges Kind, das nie erwachsen wurde. Das macht ihn so gefährlich, denn er ist zugleich sehr mächtig und vermag mit seiner Magie viel Unheil anzurichten. Er handelt oft unüberlegt. Deswegen ist er aber nicht böse. Er glaubt an die Dunkelheit und an das Gleichgewicht. Du darfst nicht vergessen, dass die Saijkalrae eine Einheit bilden. Der eine kann nicht ohne den anderen bestehen. Sie gleichen sich gegenseitig aus.«
»Ich kann nicht glauben, was du mir da sagst«,
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