Kryson 05 - Das Buch der Macht
hörte sich hell an, wie das Surren einer Stechmücke. Tomals Schild brach in sich zusammen und verschwand. Verzweifelt suchte er nach einem Ausweg.
»Bemüht Euch nicht, Sohn. Mein Tarsalla lähmt Euch«, schossen Madhrabs Worte wie ein Blitz durch den Lesvaraq hindurch.
Tomal sah das Schwert nicht kommen. Er hörte bloß ein sehr hohes, singendes Geräusch und sah für einen kurzen Moment ein rötlich schimmerndes Licht vor seinen Augen aufleuchten. Die Klinge drang tief in seinen Körper ein. Der Lesvaraq warf den Kopf in den Nacken und schrie. Doch er selbst hörte sich erst nach einer ihm unendlich scheinenden Verzögerung schreien. Fremd, dunkel und lang gezogen.
Er schmeckte Blut an seinem Gaumen. Tomal sank auf die Knie. Solatar fühlte sich in seiner Brust eiskalt und zugleich fürchterlich heiß an. Der Schmerz breitete sich in seinem ganzen Körper aus. Der Lesvaraq fühlte, wie das Blutschwert an seinem Innersten zerrte und versuchte, sich einen Teil seines Ichs einzuverleiben. Eine Schwäche und Schwere überfiel ihn, während ihm Solatar das Leben entzog.
»Neeeiiin!« Der Lesvaraq warf seinen Kopf schreiend hin und her.
Mit letzter Kraft bewegte Tomal die Arme. Seine Hände wanderten Zoll für Zoll zum Schwert in seiner Brust. Als er es schließlich zu fassen bekam, schnitt ihm die Klinge sogleich tiefe Wunden in seine Handinnenflächen. Doch er fühlte, wie Solatar unter seiner Berührung erzitterte.
Madhrabs Tarsalla endete so schnell, wie es gekommen war. Das Blutschwert wehrte sich gegen den festen Griff seinesVaters, der plötzlich den Halt verlor. Madhrab taumelte von Tomal und Solatar weg und kippte – Mund und Augen vor Schreck weit aufgerissen – rückwärts vom Felsen. Während des Sturzes löste sich ein fürchterliches Geräusch von Madhrabs Lippen, das Tomal an das Kreischen eines Schattens erinnerte.
Keuchend und mit zusammengebissenen Zähnen gelang es dem Lesvaraq, das Blutschwert aus seiner Brust zu ziehen. Solatar schrie enttäuscht auf, als es den Körper Tomals verließ. Aber die Waffe fühlte sich in seinen Händen leicht an. Zu seinem Erstaunen schloss sich die Wunde sofort wieder. Dennoch spürte der Lesvaraq, dass ihm das Blutschwert etwas Wichtiges genommen hatte. Er hatte einen Teil seines Ichs verloren. Ihm war jedoch nicht klar, was ihm Solatar gestohlen hatte.
Der Lesvaraq erhob sich, drehte das Schwert in seinen Händen, ging an die Felskante und spähte hinab. Einge Fuß tiefer lag Madhrab auf dem Rücken und rührte sich nicht. Solatar schien ihm tatsächlich zu gehorchen. Tomal ging in die Knie, drückte sich ab und sprang. Er landete nur wenige Zoll neben seinem Vater, dessen Augen starr nach oben blickten.
Das Blutschwert mit der Spitze nach unten, hoch über dem Kopf erhoben setzte der Lesvaraq zu einem Stoß an. Er wuchtete Solatar mehrmals hintereinander in den Leib seines Vaters, dessen Körper jedes Mal zuckte, sich aufbäumte und einige Zoll von der Erde abhob, wenn die Klinge in ihn eindrang. Tomal hackte und hieb auf seinen Vater ein, als wäre er von Sinnen. Er hasste seinen Vater nicht und doch fühlte er wegen des Verlusts eines Teils seiner selbst eine Wut in sich, die er an Madhrab ausließ. Er gab dem Bewahrer die Schuld an allem, was er durchmachen musste. Tomal durchtrennte Madhrab Hals und Stimmbänder und schnitt ihm die seit der Wandlung zum Todsänger verunstaltete Zunge heraus. Madhrab wehrte sich nicht.
»Ich vergehe«, stammelte Madhrab schwach, »ich flehe dich an, Sohn. Hör auf. Mein Geist schwindet.«
Aber Tomal kannte keine Gnade. Wieder und wieder stieß er mit Solatar zu, bis Madhrab sich schließlich nicht mehr bewegte und nur noch klägliche Laute von sich gab.
Die Augen des ehemaligen Bewahrers waren weit geöffnet und doch leer. Tomal ahnte, dass er den Geist seines Vaters mithilfe Solatars vernichtet hatte. Madhrab war ausgelöscht, als hätte er niemals auf Ell existiert. Seine Seele verloren, sein Geist verschwunden. Lediglich sein Leib würde zurückbleiben und langsam verrotten, während er sich über Ell schleppte und vergeblich nach Seelen suchte, die er niemals würde erreichen können.
Tomal legte Madhrab die Hand auf die Stirn und strich seinem Vater eine graue, mit Blut getränkte Haarsträhne zurück.
»Es tut mir leid, Vater«, sagte der Lesvaraq, »du hast deine Schuld an deinem Sohn bezahlt. Dein Schicksal betrübt mich, aber ich kann dir nicht mehr helfen.«
Schrecklich zugerichtet ließ der Lesvaraq
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