Kryson 05 - Das Buch der Macht
gesucht, Tomal«, sagte Madhrab.
»Das habe ich«, gab der Lesvaraq zu. »Soweit ich mich an unsere seltenen Begegnungen erinnere, hatten wir keine Gelegenheit, über unser Verhältnis zu reden. Aber wahrscheinlich haben wir das Gespräch beide gemieden. Dabei wusstet Ihr immer, dass ich Euer Sohn bin, und ich fühlte, dass Ihr mein leiblicher Vater seid.«
»So ist es, Tomal«, antwortete Madhrab schlicht.
»In all den Sonnenwenden habt Ihr Euch nie um mich gekümmert«, stellte Tomal fest.
»Das stimmt«, räumte Madhrab ein, »ich war verhindert und Ihr brauchtet mich nicht. Weder meine väterliche Zuneigung noch meinen Rat. Ihr seid ein Lesvaraq und ich brachte Euch zur Sicherheit in die Obhut des besten Hauses, das Ihr damals bekommen konntet. Ihr seid weit gekommen und habt meinen Freund Corusal beerbt, Fürst Alchovi . Also, beschwert Euch nicht.«
»Das ist wahr«, sagte Tomal, »aber dennoch tragt Ihr eine gewisse Verantwortung für meine Existenz und mein Fortkommen.«
»Ha«, lachte Madhrab rau, »wie kommt Ihr zu dieser Vorstellung? Ihr mögt aus meinem Samen entsprungen sein, mehr aber auch nicht. Vater? Der war ich für Euch nie und werde es niemals sein.«
»O nein«, erwiderte Tomal, »so einfach ist das nicht. Ihr seid nicht irgendein Mann, der rein zufällig das Lager mit meiner Mutter geteilt hat. Ein Bewahrer und eine Orna, die beide von den magischen Völkern abstammen, mit ihrer Liebe gegen alle Regeln ihrer Orden verstoßen, das Gleichgewicht verletzen und einen Lesvaraq zeugen. Ihr schuldet mir etwas!«
»Was wollt Ihr von mir, Lesvaraq?«
»Tötet mich«, sagte Tomal.
Madhrab zeigte keinerlei Regung ob dieses Wunsches.
»Das könnt Ihr haben«, antwortete Madhrab kalt, »ich hege keinerlei Gefühle für Euch, mein Sohn. Und Ihr habt Nalkaar angegriffen. Alleine dafür habt Ihr den Tod verdient.«
»Ist Euch bekannt, dass Ihr dabei selbst sterben werdet?«, fragte Tomal.
»Ich kann nicht mehr sterben«, erwiderte Madhrab, »ich bin ein Todsänger.«
»Eure Seele ist bereits verloren, aber tötet Ihr mich, wird auch Euer Geist vergehen«, erinnerte der Lesvaraq seinen Vater an Nalkaars mahnende Worte.
»Das spielt keine Rolle«, meinte Madhrab, »ich sollte überhaupt nicht mehr hier sein. Ich ließ mein Leben schon vor Sonnenwenden in der Grube. Soll meine Reise doch an diesem Ort enden.«
»Worauf wartet Ihr dann noch?«, fragte Tomal.
»Warum wollt Ihr, dass ich Euch töte? Ich bin kein Magier, der sich mit Euren Kräften messen kann.«
»Weil nur der Vater seinen Sohn von der Macht erlösen kann, die er ihm in die Wiege gelegt hat. So steht es geschrieben«, erklärte Tomal.
»Ulljans Weisheiten über das Wesen der Lesvaraq? Wen wollt Ihr damit überzeugen? Daran glaube ich schon lange nicht mehr. Ulljan war ein Betrüger, selbstsüchtig und machtbesessen. So wie Ihr, mein Sohn. Er hat sich selbst überschätzt und gedacht, er könnte durch seine Intrigen auf ewig der letzte Lesvaraq bleiben.«
»Das sind harte und gewagte Worte aus dem Mund eines Verräters, Vater«, ärgerte sich Tomal, »Ihr habt die Bewahrer und den Orden verraten, Ihr habt Elischa und mich verraten, Ihr habt Eure Freunde und die Klan verraten und am Ende auch noch Euch selbst. Ihr seid gescheitert, Madhrab. Ich bin der Sohn eines Verlierers.«
»Das ist leider zu wahr«, meinte Madhrab, »keines meinerVersprechen konnte ich jemals einhalten. Nicht einmal Nalkaar bin ich treu geblieben. Stattdessen stelle ich mich gegen meinen leiblichen Sohn und bringe die Pläne des Todsängers in Gefahr. Ich sollte Euch einfach stehen lassen und gehen, um wenigstens meine letzte Schuld zu bezahlen.«
»Eure letzte Schuld bin ich, Vater«, sagte Tomal, »befreit mich von den Qualen, die mich seit meiner Geburt zerreißen und meinen Geist vergiften. Erinnert Euch ein allerletztes Mal daran, wer Ihr einst wart. Seid nur ein einziges Mal der Vater, der Ihr hättet sein können, und tretet für das Gleichgewicht ein, dem Ihr Euch genau wie ich verschrieben habt.«
Madhrab zielte mit dem Schwert auf Tomals Brust, verharrte jedoch regungslos an Ort und Stelle. Die Hände und Arme des Vaters zitterten vor Anstrengung, als er endlich einen Schritt auf seinen Sohn zutrat und die Spitze des Blutschwertes den Brustkorb des Lesvaraq berührte. Ein weiterer Schritt nur und Solatar würde sich mitten durch das Herz des Sohnes bohren. Tomal breitete die Arme weit aus und schloss die Augen, um den Todesstoß seines Vaters zu
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